Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis eines feindseligen tätlichen Angriffs zur Begründung eines Anspruchs auf Opferentschädigung
Orientierungssatz
1. Zur Gewährung von Opferentschädigung ist nach § 1 OEG der Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs und einer hieraus resultierenden gesundheitlichen Schädigung erforderlich.
2. Trägt der Geschädigte vor, dass seine Mutter während der Schwangerschaft mit ihm so viel Alkohol getrunken habe, dass er dadurch bereits im Mutterleib geschädigt worden sei und infolgedessen an einer fetalen Alkohol-Spektrum-Störung leide, so ist dies für die Gewährung von Opferentschädigung nicht ausreichend.
3. Denn für die Bejahung einer Gewalttat i. S. des § 1 OEG ist die Unterstellung einer hierfür notwendigen feindseligen Willensrichtung der Mutter erforderlich.
4. Der notwendige tätliche Angriff ist nur dann zu bejahen, wenn die Tat in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen eingewirkt hat. Hierzu wäre der Nachweis erforderlich, dass die werdende Mutter deshalb Alkohol getrunken hat, um das Kind in ihrem Leib zu töten.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die der Kläger sich durch den angeblichen Alkoholkonsum seiner Mutter während seiner Schwangerschaft zugezogen haben will.
Mit einem Antrag vom 4. Februar 2014 trug der Kläger bei dem Beklagten vor, er leide unter einem fetalen Alkoholsyndrom (FAS) bzw. unter einer fetalen-Alkohol-Spektrum-Störung (FASD). Diese Erkrankung sei im Jahre 2012 bei ihm festgestellt worden. Das bei ihm vorliegende FASD sei auf den Alkoholkonsum seiner Mutter während seiner Schwangerschaft zurückzuführen. Insbesondere leide er unter:
- Sensibilitätsstörungen an den Händen und den Füßen
- krampfartige Schmerzen im Rücken und in der Bauchdecke
- Konzentrationsbeeinträchtigungen
Zum Beleg der Diagnose FASD legte der Kläger ein Gutachten von T vom 12.09.2012 vor. In dem Gutachten stellte der Sachverständige unter anderem die 4 wesentlichen Prüfkriterien für die Diagnosestellung vor:
1. Liegt bei dem Patienten ein Minderwuchs/Untergewicht vor?
2. Liegt eine kraniofaziale Dysmorphie bei dem Patienten im Sinne auffälliger/diskreter dysmorpher Stigmata im Gesicht vor?
3. Leidet der Patient an neuropsychiatrischen Störungen (strukturelle und funktionelle ZNS-Störung)?
4. Liegt ein Alkoholabusus der Mutter während der Schwangerschaft vor?
Für den Kläger selbst, beurteilte er diese Prüfkriterien so, dass möglicherweise im Kindesalter beim Kläger ein Minderwuchs vorgelegen habe (Nummer 1). Eine kraniofaziale Dysmorphie (Nummer 2) sei eindeutig nachweisbar. Beim Kläger liege eine schwere soziale Isolation vor, im Sinne des Gefühls des nicht akzeptiert werdens, besonders am Arbeitsplatz. Dies werde durch ein psychosomales Schmerzsyndrom begleitet. Die Kriterien zu Nummer 3 lägen deshalb vor. Die Mutter sei chronisch Alkoholkrank. Wahrscheinlich habe sie auch schon in der Schwangerschaft getrunken. Aus diesem Grund bejaht der Sachverständige auch die Voraussetzung zu Nummer 4.
Insgesamt läge deshalb beim Kläger ein FASD vor. Wegen des übrigen Inhalts des Sachverständigengutachtens von T vom 12.09.2012 wird auf Blatt 61 ff. der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Mit Bescheid vom 11.09.2014 lehnte der Beklagte eine Leistungsgewährung nach dem OEG ab. Der Kläger sei nicht Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden. Der Alkoholkonsum seiner Mutter während der Schwangerschaft sei nicht rechtswidrig.
Mit seinem Widerspruch vom 21.09.2014 trug der Kläger vor, dass er während seiner Schwangerschaft der Mutter, massiv geschädigt worden sei. An einer Körperverletzung könne kein Zweifel bestehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2014 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Kriminelle Gewalt gegenüber dem Kläger sei nicht feststellbar. Die Einnahme von Drogen, Tabletten und Alkohol sei keine mit Strafe bedrohte kriminelle Gewalthandlung. Auch der parallele Begriff der "Beibringung von Gift" sei nicht einschlägig, da diese Handlung nicht mittels einer Gewalttat vollzogen worden sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 14.11.2014 erhobene Klage des Klägers. Mit der Klage begehrt er die Gewährung der Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG wegen der Gesundheitsbeeinträchtigungen, insbesondere in Form des FASD von dem er vorträgt, dass er diese Gesundheitsbeeinträchtigung durch den Alkoholkonsum der Mutter in seiner Schwangerschaft erlitten habe. Hierzu legte der Kläger eine Bescheinigung von I vom 07.08.2012 vor. In dieser Bescheinigung wird angegeben, dass die Mutter des Klägers unter einer Alkoholkrankheit gelitten habe. Weiter trägt er vor, dass das OEG eine Entschädigung für die Folgen jedweder Gewalt gegenüber einem Menschen vorsehe. Darin eingeschlossen se...