Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines zulässigen Regresses gegenüber dem Vertragsarzt wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen

 

Orientierungssatz

1. Nach § 106 Abs. 5 a S. 3 SGB 5 hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist.

2. Praxisbesonderheiten sind, soweit objektivierbar, dann zu berücksichtigen, wenn der Arzt nachweist, dass er der Art und der Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt hat und hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden sind, vgl. BSG, Urteil vom 06. September 2000 - B 6 KA 24/99 R.

3. Vor Erlass eines Regressbescheides hat seitens der bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gebildeten gemeinsamen Prüfungsstelle nach § 106 Abs. 5 e SGB 5 eine individuelle Beratung des Vertragsarztes zu dessen Heilmittelverordnungsverhalten stattzufinden. Diese ist erforderlich, um effektiv eine Änderung des Verordnungsverhaltens zu bewirken, vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 2006 - B 6 KA 68/05 R.

4. Ein Regress kann erst festgesetzt werden, wenn der Vertragsarzt in einem weiteren Prüfzeitraum nach erfolgter Beratung die Richtgrößen erneut überschreitet. Anderenfalls ist der vom Vertragsarzt angefochtene Regressbescheid aufzuheben und die KV zu verurteilen, dem Arzt eine individuelle Beratung i. S. des § 106 Abs. 5 a S. 1 SGB 5 anzubieten.

 

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 02.07.2012 wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass der Klägerin eine individuelle Beratung gemäß § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V anzubieten ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen im Jahre 2009.

Die Klägerin ist Ärztin für Allgemeinmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Chirotherapie und Rehabilitationswesen und war bis zum Quartal 4/2010 in L zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen setzte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein mit Bescheid vom 09.11.2011 für die Quartale 1/2009 bis 4/2009 einen Regress in Höhe von 34.789,21 EUR fest.

Diesem Bescheid widersprach die Klägerin. Soweit nach § 5 Abs. 3 der Richtgrößenvereinbarung 2009 (RgV 2009) andere (als die von Amts wegen zu berücksichtigenden) Praxisbesonderheiten nur dann zu berücksichtigen seien, wenn sowohl der Art als auch der Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt worden seien, widerspreche dies der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Praxisbesonderheiten seien aus dem Patientengut resultierende Gegebenheiten, die entweder ihrer Art oder - wie hier - ihrer Häufigkeit nach in Relation zur Vergleichsgruppe als atypisch zu bezeichnen seien und einen Mehraufwand rechtfertigen könnten. Die Klägerin habe seit 2001 einen Betreuungsschwerpunkt bei Borreliose-Patienten gehabt. Über verschiedene Zeiträume hinweg sei der Anteil der Patienten mit der Diagnose "Borreliose" unverändert geblieben. Ihre Praxis sei pro Quartal von durchschnittlich mindestens 300 Patienten mit Borreliose aufgesucht worden, welche einer entsprechenden Behandlung bedurft hätten. Die Mehrkosten für Borreliose-Patienten in Höhe von 37.536,30 EUR seien als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen. Selbst wenn die Borreliose eine bakterielle Krankheit sei, die primär medikamentös zu therapieren sei, könnten beispielsweise Grunderkrankungen durch das Vorhandensein von Borreliose getriggert werden, so dass Heilmittelbedarf wegen der nunmehr vorliegenden Komplexerkrankung notwendig geworden sei. Anhand der Morbiditätsstatistiken lasse sich die Morbidität der Patienten ausreichend nachweisen. In den Praxen der Vergleichsgruppe tauche die Diagnosestellung A69 nicht unter den ersten 100 Diagnosestellungen auf, so dass der Anteil dort unter 1,1 % liege. Bei ihren weit unterdurchschnittlichen Fallzahlen könne die atypische und kostenintensive Klientel auch nicht in dem erforderlichen Maße ausgeglichen werden.

Mit Bescheid vom 02.07.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Dabei ging er davon aus, dass es sich um eine Praxis handele, die der Fachgruppe der Allgemeinmediziner nach Anlage 3 B der RgV 2009 zuzuordnen sei. Tabellarisch listete er die statistischen Abweichungen von der Vergleichsgruppe bei den Fallzahlen (- 56,51 % bis - 65,53 %), den Anteilen der Rentner (- 13,8 % bis - 19,82 %), den Notfällen, Vertreterfällen, Zuweisungen und Überweisungen, Gesamtleistungen (Honorar: + 32 % bis + 65 %) und außergebührenmäßigen Kosten (Sprechstundenbedarf; Arzneimittelkosten nach Richtgrößen: + 108,06%) auf. Bei den Heilmitteln liege eine Abweichung zur Richtgrößensumme von + 600,07 % vor.

Unter Zugrundelegung der Quartalsbilanzen brachte der Beklagte zunächst gemäß § 5 Abs. 2 RgV 2009 Praxisbesonderheiten nach den Symb...

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