Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung des Mehraufwandes durch den Vertragsarzt an die Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Nach § 106 Abs. 5a S. 3 SGB V (juris: SGB 5) hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v.H. nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist.

2. Praxisbesonderheiten sind danach - soweit objektivierbar - zu berücksichtigen, wenn der Arzt nachweist, dass er der Art und der Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt hat und hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden sind. Die Anerkennung als Praxisbesonderheit ist auf die Höhe der hierdurch bedingten Mehrkosten begrenzt. Die schlüssige Darlegung dieser Praxisbesonderheiten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach obliegt dem zu prüfenden Arzt. Ergänzend bestimmt § 5 Abs. 6 RgV 2009, dass der Arzt für die von ihm gesehenen Praxisbesonderheiten im Sinne des Abs. 5 darzulegen hat, aufgrund welcher besonderen, der Art und der Anzahl nach von der Typik in der Arztgruppe abweichenden Erkrankung er welche Arzneitherapien mit welchen (ggf. geschätzten) Mehrkosten je Behandlungsfall veranlasst hat.

3. Nach der zum 01.01.2012 durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz in Kraft getretenen Vorschrift des § 106 Abs. 5e S. 1-3 SGB V (juris. SGB 5, Fassung 2012-01-01) erfolgt abweichend von Abs. 5a S. 3 bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % eine individuelle Beratung nach Abs 5a S 1. Ein Erstattungsbetrag (= Regress) kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat.

4. § 106 Abs. 5e S. 1-3 SGB V (juris. SGB 5, Fassung 2012-01-01) ist nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Daher erfassen Änderungen der materiell-rechtlichen Vorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung grundsätzlich nur Quartale nach dem Inkrafttreten der Neuregelung.

 

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 02.07.2012 wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass der Klägerin eine individuelle Beratung gemäß § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V anzubieten ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen im Jahre 2009.

Die Klägerin ist Ärztin für Allgemeinmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Chirotherapie und Rehabilitationswesen und war bis zum Quartal 4/2010 in L zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Bescheid vom 26.10.2011 setzte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein für die Quartale 1/2009 bis 4/2009 wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen einen Regress in Höhe von 22.228,17 EUR fest. Diesem Bescheid widersprach die Klägerin. Hierbei wies sie auf ihre unterdurchschnittlichen Fallzahlen hin, die nur geringere "Verdünnungen" der Statistiken ermöglichten. Dies wirke sich vor allem in bezug auf ihre Praxisbesonderheiten aus. Diese lägen schwerpunktmäßig in der Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose. Diese Erkrankung würde insbesondere antibiotisch und mit antibiotischen Kombinationsbehandlungen therapiert. Der Anteil der Borreliose-Patienten in der Praxis liege bei z.T. weit über 50 %. Im Quartal 1/2009 seien allein 326 Patienten mit Borreliose entsprechend 66 % der Gesamtfallzahl dieses Quartals betreut worden. Demgegenüber zeigten die Morbiditätsstatistiken der KV Nordrhein in den Praxen der Vergleichsgruppe eine Häufigkeit der Lyme-Borreliose (A69) von weniger als 1,1 % der Fälle. Herauszurechnen seien auch die Mehrkosten zur Behandlung der Lyme-Borreliose für Makrolide (J01FA), Sulfonamide (J01E), alle Generationen der Chephalosporine (J01D), Metronidozol (J01XD01/P01AB01) und Hydroxychloroquin (P01BA02) sowie Antiepileptika zur Versorgung von Schmerzpatienten und magenprophylaktische Präparate.

Mit Bescheid vom 02.07.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Dabei ging er davon aus, dass es sich um eine Praxis handele, die der Fachgruppe der Allgemeinmediziner/praktischen Ärzte nach Anlage B der Richtgrößenvereinbarung 2009 [(RgV 2009)] zuzuordnen sei. Tabellarisch listete er die Fallzahlen der Klägerin sowie die statistischen Abweichungen von der Vergleichsgruppe bei den Fallzahlen (- 51,51 % bis - 65,53 %), den Anteilen der Rentner, den Notfällen, Vertreterfällen, Zuweisungen und Überweisungen, Gesamtleistungen (Honorar), außergebührenmäßigen Kosten (Sprechstundenbedarf, Heilmittelkosten (Abweichung zur Richtgrößensumme + 600,07 %)) auf. Bei den Arzneiverordnungskosten ermittelte der Beklagte in der Summe von Allgemeinversicherten (AV) und Rentnern (RV) im Jahre 2009 eine Abweichung zur Richtgrößensumme in Höhe von 144.437,29 EUR entsprechend + 108,06 %.

Zugunsten der Klägerin zog der Beklagte von den Arzneiverordn...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge