Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der wirksamen Kündigung eines gerichtlichen Vergleichs
Orientierungssatz
1. Ein gerichtlicher Vergleich kann nach § 59 SGB 10 bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse gekündigt werden. Die Änderung der Verhältnisse nach Abschluss des Vertrags kann im tatsächlichen oder rechtlichen Bereich liegen. Auch eine Änderung der Rechtsprechung kann sich als Rechtsänderung darstellen.
2. Erscheint die Änderung der Rechtslage als so wesentlich, dass einem der Vertragspartner ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar ist, so ist bei wirksamer Kündigung des Vergleichs der Vergleichsinhalt nicht mehr anwendbar.
3. Aus der § 45 Abs. 3 S. 3 SGB 10 zugrunde liegenden Wertung ergibt sich, dass sich schutzwürdiges Vertrauen nach einem Zeitraum von zehn Jahren gebildet hat. Nach Art. 20 Abs. 3 GG kann sich aber schutzwürdiges Vertrauen nicht auf eine rechtswidrige Verwaltungspraxis gründen (BSG Urteil vom 27. 6. 2007, B 6 KA 24/06 R).
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Genehmigung der Erbringung und Abrechnung von Leistungen des Abschnittes G II des Einheitlichen Bewertungsmaß-stabes (EBM) a.F. (Leistungen der Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie).
Der Kläger ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapeutische Medizin und Psycho-therapie und verfügt über die Approbation als psychologischer Psychotherapeut. Er ist in E zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und hausärztlich tätig. Er ist Mitgesellschaf-ter eines Medizinischen Versorgungszentrums.
Im Rahmen eines am 23.02.2000 in dem Verfahren L 11 KA 68/98 vor dem Landessozial-gericht (LSG) Nordrhein-Westfalen geschlossenen Vergleichs erteilte die Beklagte dem Kläger die Genehmigung zur Erbringung und Abrechnung der Leistungen des Abschnitts G II EBM ab dem laufenden Quartal. Die Beteiligten legten zugrunde, dass der hohe Anteil psychiatrischer Leistungen einen Praxisschwerpunkt darstelle und der Kläger Besonder-heiten in der individuellen Ausbildung und Fortbildung belegt habe, die für die Annahme einer vergleichbaren fachlichen Befähigung sprächen.
Unter dem 21.06.2012 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Kündigung des Vergleichs mit sofortiger Wirkung. Sie berief sich auf § 59 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialge-setzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) und führte zur Begründung aus, nach der seinerzeit nicht absehbaren Rechtsprechung des Bundessozi-algerichts (BSG), Urteil vom 28.10.2009, Az.: B 6 KA 22/08 R, seien Kassenärztliche Ver-einigungen nun grundsätzlich nicht mehr befugt, Allgemeinmedizinern gebietsfremde Leis-tungen des EBM zuzugestehen. Die ergänzende Vereinbarung zur Reform des EBM zum 01.04.2005 könne nicht als eigenständige Rechtsgrundlage angesehen werden.
Der Kläger bestritt ein Kündigungsrecht. Die Beklagte habe weder zum Tatbestands-merkmal der fehlenden Zumutbarkeit noch zum Tatbestandsmerkmal der Anpassung des Vertragsinhalts vorgetragen. Die dem zitierten Urteil zugrunde liegende Fallgestaltung sei mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Im Übrigen seien die maßgebenden Verhältnisse von den Umständen, die Vertragsinhalt geworden seien und Rechtsfolgen auslösten, zu unterscheiden. Seine Qualifikation habe sich nicht geändert. Darüber hinaus komme die Kündigung eines gerichtlichen Vergleichs, der eine Doppelnatur habe, nicht in Betracht. Am 28.08.2012 hat der Kläger Klage erhoben und parallel den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das Verfahren des einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes ist unter dem Az.: S 14 KA 419/12 ER geführt worden.
Der Kläger hält an seiner Argumentation fest und ist im Übrigen der Ansicht, die Kündi-gung sei unwirksam. Die Beklagte sei zur Kündigung nicht berechtigt. Jedenfalls habe sie ein solches Recht im Hinblick auf den abgelaufenen Zeitraum und die Erklärung in dem Verfahren S 33 KA 70/09 des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf, den Inhalt des Vergleichs weiterhin für verbindlich zu halten, verwirkt. Eine unabsehbare wesentliche Änderung der Verhältnisse könne nicht angenommen werden. Der Beklagten hätte vielmehr bewusst sein müssen, dass die Regularien für die Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen Ände-rungen unterworfen seien. Nunmehr könne er einen wesentlichen Teil seiner Leistungen nicht mehr abrechnen. Dieser habe in den vergangenen neun Quartalen 49,2 % betragen. Die Liquiditätseinbuße schließe die Aufrechterhaltung des Praxisbetriebes aus.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass der Kläger weiterhin berechtigt ist, Leistungen des Ab-schnitts G II EBM a.F. im Rahmen seiner kassenärztlichen Tätigkeit zu er-bringen, und die Beklagte zu verpflichten, die von ihm erbrachten Leistungen des Abschnitts G II EBM a.F. abzurechnen und die ihm hierfür zustehende Vergütung auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist de...