Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung: Umfang der Beitragspflicht eines freiwilligen Mitglieds. rückwirkende Korrektur der Beitragsfestsetzung auf den Mindestbeitrag bei geringem Einkommen des Mitglieds

 

Orientierungssatz

1. Hat ein freiwilliges Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung, dessen Mitgliedschaft sich aus einer Anschlussmitgliedschaft ergab, zunächst gegenüber der Krankenkasse keine Angaben zu seinem Einkommen als Basis für die Beitragsberechnung übermittelt, so muss die Krankenkasse dennoch nachträglich die Festsetzung des Höchstbeitrages auch rückwirkend korrigieren, wenn die Krankenkasse hinreichende Anhaltspunkte dazu hat, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds die jeweils anzuwendende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschreiten. Solche hinreichenden Anhaltspunkte zu den Einnahmen können sich bereits aus den bloßen Angaben des Mitglieds zu seinen Einkommensverhältnissen ergeben.

2. Einzelfall zur rückwirkende Korrektur der Beitragsfestsetzung auf den Mindestbeitrag für ein freiwilliges Mitglied einer Krankenkasse wegen Einkommenslosigkeit.

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, die Bescheide vom 02.12.2016 sowie vom 07.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2019 aufzuheben und die Beiträge zur Krankenversicherung ab dem 17.08.2016 bis zum 20.12.2016 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften in Höhe des Mindestbeitrags neu festzusetzen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Beitragshöhe für die Krankenversicherung im Zeitraum vom 17.08.2016 bis 20.12.2016.

Der 1982 geborene Kläger war zunächst bis zum 16.08.2016 bei der Beklagten aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld II pflichtversichertes Mitglied. Ab dem 17.08.2016 bestand eine beitragspflichtige obligatorische Anschlussversicherung. Mit Schreiben vom 13.10.2016 teilte die Beklagte dem Kläger dies mit. Gleichzeitig übersandte sie ihm den Fragebogen zur Versicherung bei obligatorischer Anschlussversicherung. Mit Schreiben vom 04.11.2016 übersandte die Beklagte dem Kläger auch den Einkommensfragebogen mit der Bitte, diesen ausgefüllt zurückzusenden. Gleichzeitig teilte sie ihm für den Fall, dass er die erbetenen Angaben nicht innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des Schreibens machen werde, den von ihr dann festzusetzenden Höchstbeitragssatz mit. Angaben zu seinem Einkommen machte der Kläger in der Folgezeit nicht. Mit Bescheid vom 02.12.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie die Beiträge ab dem 17.08.2016 auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze berechne, da er ihr weder andere Einnahmen mitgeteilt noch Nachweise über diese vorgelegt habe. Der monatliche Beitrag betrage zur Krankenversicherung 652,58 EUR und zur Pflegeversicherung 110,18 EUR, insgesamt 762,76 EUR. Für die Zeit vom 17.08.2016 bis 30.11.2016 sei ein Betrag i.H.v. 2669,66 EUR zu zahlen. Laut Postzustellungsurkunde vom 03.12.2016 wurde der Bescheid am selben Tage in den Briefkasten des Klägers eingeworfen.

Am 27.04.2018 stellte der Kläger im Hinblick auf den Bescheid vom 02.12.2016 einen Überprüfungsantrag. Er sei vom 17.08.2016 bis zum 20.12.2016 arbeitslos gewesen. In dieser Zeit habe er monatelang nach einer neuen Arbeit gesucht und in der Zwischenzeit von seinem restlichen Ersparten gelebt. Mit Bescheid vom 07.05.2018 stellte die Beklagte fest, dass der zu überprüfende Beitragsbescheid vom 02.12.2016 rechtmäßig ergangen sei. Eine Rücknahme sei daher nicht zulässig. Der Kläger widersprach. Nach der Neuregelung des § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V sei nunmehr ausdrücklich eine rückwirkende Korrektur der Beitragsfestsetzung vorgesehen, wenn aufgrund hinreichender Anhaltspunkte klar sei, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds die jeweils einschlägige Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschreiten. Diese Voraussetzungen lägen bei ihm vor. Die Beiträge seien daher bereits unabhängig von der Überprüfung des ursprünglichen Beitragsbescheides neu festzusetzen. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2019 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der Beitragsbescheid vom 02.12.2016 sei zu Recht erlassen worden. Ab dem 17.08.2016 seien die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze zu berechnen und festzusetzen gewesen, da der Kläger trotz Anfragen keine Angaben zu seinem Einkommen gemacht habe. Hinreichende Anhaltspunkte im Sinne der neuen gesetzlichen Regelung des § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V seien nur dann zu unterstellen, wenn unmittelbar vor dem Beginn der Versicherungspflicht aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld II Zeiten einer freiwilligen Versicherung mit der Beitragsbemessung auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze vorlägen und der Betroffene es lediglich versäumt habe, die Hilfebedürftigkeit rechtzeitig zu melden oder sich seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vor dem Leistungsbezug nicht erheblich von der aktuellen unterscheide. Dies sei...

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