Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgung mit einem Therapie-Dreirad-Tandem durch die Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Ein Therapie-Dreirad-Tandem stellt bei einem epileptischem Kind mit schwerer geistiger und motorischer Störung ein Hilfsmittel i. S. von § 33 Abs. 1 SGB 5 dar. Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zählt die Bewegungsfreiheit in einem Umkreis, der mit einem vom Behinderten selbst handbetriebenen Rollstuhl erreicht werden kann.

2. Bei einem Jugendlichen wird der Umkreis unter dem Gesichtspunkt der Integration des behinderten Jugendlichen in das Lebensumfeld nicht behinderter Gleichaltriger erweitert auf den Radius, den ein Jugendlicher mit dem Fahrrad zurücklegt. Deshalb besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Mobilitätshilfen.

3. Ist bei einem Behinderten die Durchführung von Krankengymnastik nicht ausreichend, um den Behandlungserfolg zu sichern, rechtfertigt neben der erforderlichen sozialen Integration auch die Sicherung des Behandlungserfolgs die Versorgung mit einem Therapie-Tandem.

4. Bei der Versorgung mit einem Therapie-Dreirad-Tandem ist das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB 5 zu beachten.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 02.08.2005 und 01.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2006 verurteilt, die Kosten für die Anschaffung des Therapie-Dreirad-Tandems der Firma E1 in Höhe von 6.584,18 EUR zu übernehmen.

2. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Streitig ist die Kostenübernahme für ein Therapie-Dreirad-Tandem.

Der am 00.00.1999 geborene Kläger ist über seine Mutter bei der Beklagten familienversichert. Bei ihm besteht eine therapieresistente Epilepsie mit täglichen auch nachts auftretenden Muskelzuckungen - Grand-mal-Anfällen und Sturzanfällen. Außerdem eine geistige Behinderung (Lennox-Gastaut-Syndrom).

Am 29.07.2005 beantragte die Mutter bei der Beklagten die Kostenübernahme für ein Therapie-Dreirad-Tandem laut beigefügtem Kostenvoranschlag des Sanitätshauses M vom 21.06.2005: Vorgesehen war die Anschaffung des Modells: Capitän Duo der Firma E1 zum Preis von 6.584,18 EUR. In dem beigefügten Attest des behandelnden Kinderneurologen E2 vom 24.06.2005 heißt es unter anderem, zur Förderung des Gleichgewichts, der Eigenaktivität und für einen positiven Einfluss auf die motorische Unruhe würde ein Therapie-Dreirad-Tandem verordnet. Mit Bescheid vom 02.08.2005 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) bestünde kein Anspruch auf die Versorgung mit einem Tandem. Zur Sicherstellung des Grundbedürfnisses der Mobilität sei ein Schieberollstuhl ausreichend. Um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern wäre regelmäßige Krankengymnastik nicht nur ausreichend, sondern könne sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung des Klägers erreichen, einschließlich der Stärkung von Muskulatur, Herz-Kreislauf-System, Lungenfunktion, Körperkoordination und Balancegefühl.

Dagegen hat der Kläger am 16.08.2005 Widerspruch erhoben. Zur Begründung des Widerspruchs reichte er die Stellungnahme der ihn behandelnden Therapeutin L vom 15.08.2005 ein. Darin heißt es, sie behandele den Kläger zweimal wöchentlich physiotherapeutisch. Obwohl der Kläger sehr viel Spaß an Bewegung hätte, habe er aufgrund seiner Kraftlosigkeit und herabgesetzten Ausdauer wenig Gelegenheit, sich ausdauernd mit den Bewegungsmöglichkeiten seines Körpers auseinanderzusetzen. Aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen sei er nicht in der Lage, sich im Straßenverkehr richtig zu verhalten, sowie auftretende Gefahren für sich und andere einzuschätzen. Diese Gegebenheiten machten es in Verbindung mit den motorischen Defiziten unmöglich, ihn selbständig, ohne eingreifende Begleitperson, fahren zu lassen. Er brauche daher ein System, in dem seine motorischen Defizite gefördert werden könnten und er die Möglichkeit hätte, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und in das eine Begleitperson einbezogen würde. Das Therapie-Tandem steigere die Ausdauer, verbessere die Rumpfstabilität, die sich wiederum positiv auf das Gangbild auswirke, das Gleichgewicht werde geschult, die Beinkraft verbessert und er erfahre eine alternierende Bewegung der Beine und diese arbeiteten dann in verschiedenen Funktionen.

Mit weiterem Bescheid vom 01.12.2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme erneut ab.

Den dagegen am 16.12.2005 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass das Grundbedürfnis auf Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraumes durch einen Schieberollstuhl nicht erfüllt werde. Da der Kläger nicht selbständig am öffentlichen Verkehr teilnehmen könne, sei er auf das Tandem angewiesen. In der beigefügten ärztlichen Bescheinigung des E2 vom 02.01.2006 heißt es, das Therapie-Dreirad sei zur Förderung des Gleichgewichtssinns, der motorischen Kompetenz und einer Unterstützung der allgemeinen W...

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