Entscheidungsstichwort (Thema)

Überprüfungsantrag einer Regelaltersrente. früherer Rentenbeginn und rückwirkende Gewährung einer Rente nach dem ZRBG. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Zur Wahrung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art 3 Abs 1 des GG ist eine Neufeststellung der ZRBG Rente mit der Folge eines Rentenbeginns bereits ab 1.7.1997 im Wege verfassungskonformer Auslegung unter Nichtanwendung von § 44 Abs 4 SGB 10 und Nichtanwendung von § 100 Abs 4 SGB 6 geboten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.02.2012; Aktenzeichen B 13 R 40/11 R)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 25.03.2010 und Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2010 sowie unter Rücknahme des Bescheides vom 19.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2005 verurteilt, die Regelaltersrente der Klägerin insofern nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen neu festzustellen, als die Rente bereits am 01.07.1997 beginnt, und dementsprechend eine weitere Nachzahlung für die Zeit vom 01.07.1997 bis 31.12.2004 zu zahlen.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

4. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die der Klägerin nach den Vorschriften des ZRBG inzwischen bewilligte Regelaltersrente mit Rückwirkung und einer entsprechenden Nachzahlung erst ab dem 01.01.2005 zu beginnen hat, oder mit Rückwirkung schon ab dem 18.06.1997, mit der Folge einer gegebenenfalls weiteren Nachzahlung von ca. 12060,00 EUR (für die Zeit vom 01.07.1997 bis 31.12.2004). Dass sich gegebenenfalls dann auch der bisherige Zugangsfaktor - auch für die laufende Rente - ändert, ist den Beteiligten mitgeteilt worden und durch eine Probeberechnung - auch hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen - verdeutlicht worden.

Die Klägerin ist am 00.00.1924 in Koszyce geboren und als polnische Jüdin u. a. in Ostrowiec nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes ausgesetzt gewesen; entsprechende Ersatzzeiten und Verfolgungszeiten sind für die Zeit ab dem 23.11.1939 im Versicherungsverlauf anerkannt.

Die Klägerin beantragte erstmals eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung am 23.09.2002. Sie machte im Antrag Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) geltend. Sie habe als Bewohnerin des Ghettos von Ostrowiec während des dortigen Zwangsaufenthaltes etwa in der Zeit von Anfang 1940 bis März 1943 in einer Fa. K - außerhalb des Ghettos - als Maschinenarbeiterin im Eisenbahnbau gearbeitet und dafür Zloty in nicht mehr bekannter Höhe und Lebensmittel erhalten. Die Tätigkeit sei durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen. Danach sei sie in Zwangsarbeitslager gekommen, in denen sie bis zur Befreiung im April 1945 gearbeitet habe. Schließlich gelangte die Klägerin über verschiedene Stationen u. a. über München in das dortige DP-Lager, wo sie bis 1946 blieb und von wo aus sie über weitere Stationen (Italien) im April 1947 nach Palästina auswanderte und dort seit der Staatsgründung Israels als israelische Staatsangehörige lebt.

Mit dem Bescheid vom 19.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2005 lehnte die Beklagte die Zahlung einer Rente ab, weil die Voraussetzungen zur Anerkennung von - auf die Wartezeit anrechenbaren - Beitragszeiten nach § 1 ZRBG nicht erfüllt seien. Es habe nämlich, soweit die Klägerin während ihres Ghettoaufenthaltes gearbeitet habe, eine "entgeltliche" Beschäftigung im Sinne des ZRBG nicht vorgelegen und überdies auch Zwangsarbeit, so die Beklagte damals.

Die gegen diese Bescheide am 27.06.2005 erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Mit Urteil vom 22.02.2007 wies das Sozialgericht Düsseldorf im Vorprozess die Klage ab und verneinte Anerkennungsfähigkeit von - für die Wartezeit erforderlichen - Beitragszeiten bzw. Ghettobeitragszeiten schon mit der Begründung, es mangele jedenfalls an der Zugehörigkeit der Klägerin zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK). Dies sei aber eine Tatbestandsvoraussetzung für die Anerkennung von Beitragszeiten im Generalgouvernement wie hier. Die Klägerin selbst habe die dSK-Zughörigkeit verneint. Berufung wurde nicht eingelegt.

Wegen der Einzelheiten des Ablaufs des Vorprozesses wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Vorprozessakte (mit dem Aktenzeichen S 12 (22) R 324/05).

Am 12.08.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überprüfung der bisherigen Bescheide unter Bezug auf diverse Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum ZRBG vom 02. und 03. Juni 2009. Nach Vorlage einer Lebens- und Staatsangehörigkeits-Bescheinigung gewährte die Beklagte mit dem angefochtenen Rentenbescheid vom 25.03.2010 (der sich auf Blatt 163 ff der Verwaltungsakte befindet) eine Regelaltersrente. Die Anspruchsvoraussetzungen seien dem Grunde nach seit dem 02.12.1989 erfüllt, heißt es in dem Bescheid. Ghetto-Beitragszeiten erkannte die Be...

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