Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung einer Erbschaft des Grundsicherungsberechtigten als Einkommen
Orientierungssatz
1. Einnahmen des Grundsicherungsberechtigten aus einer Erbschaft nach § 1922 Abs. 1 BGB sind kein Vermögen, sondern Einkommen. Einkommen ist das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was er vor der Antragstellung bereits hatte (BSG Urteil vom 25. 1. 2012, B 14 AS 101/11 R).
2. Das Erbe ist dem Bedarf als Einkommen erst ab dem Zeitpunkt gegenüberzustellen, in dem es dem Grundsicherungsberechtigten tatsächlich als bereits Mittel zur Deckung seines Bedarfs zur Verfügung steht.
3. Ein notfalls zu erstreitender Anspruch gegen den Testamentsvollstrecker stellt zu berücksichtigendes Einkommen i. S. von § 11 SGB 2 dar. Die Erbschaft ist als einmalige Einnahme nach § 11 Abs. 3 SGB 2 zu werten und im sog. Verteilzeitraum zu berücksichtigen.
4. Der Anspruch des Grundsicherungsberechtigten gegen den Testamentsvollstrecker ist im Rahmen des § 11 SGB 2 zu berücksichtigen, wenn der Anspruch dem Grunde nach feststeht, fällig ist und in angemessener Zeit realisiert werden kann.
5. Steht der als Einkommen erlangte Wertzuwachs im Zeitpunkt des Zuflusses aus Rechtsgründen noch nicht als bereites Mittel bedarfsdeckend zur Verfügung, so ist eine Berücksichtigung als Einkommen zu diesem Zeitpunkt auch dann ausgeschlossen, wenn der Leistungsberechtigte auf die Realisierung des Wertes hinwirken kann (BSG Urteil vom 19. 8. 2015, B 14 AS 43/14 R).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab Oktober 2018.
Am 11.10.2012 ließ die Großmutter der am 00.00.1999 geborenen Klägerin ein öffentliches Testament erstellen, in dem sie ihre Tochter V1 L1 (geboren am 00.00.1957) zu 30 %, ihre Tochter V2 L2 (geboren am 00.00.1969) zu 26 %, und ihre beiden Enkel, die Klägerin und ihren am 00.00.2001 geborenen Bruder K I L2 zu je 22 % als Erben einsetze. Die im Wachkoma liegende Tochter V2 L2 wurde nicht befreite Vorerbin, Nacherben wurden zu gleichen Teilen ihre beiden Kinder (mithin die Klägerin und ihr Bruder). Die Tochter V1 und die beiden Enkel wurden dagegen unbeschränkte Erben. Die Erblasserin ordnete bezüglich des Erbteils der Tochter V2 L2 eine Dauertestamentsvollstreckung an. Zudem ordnete sie bezüglich der Erbteile der Enkelkinder (der Klägerin und ihres Bruders) die Testamentsvollstreckung an, jedoch nur unter der Bedingung, dass der Erbfall vor dem 01.01.2024 eingetreten ist. Im Testament heißt es hierzu weiter wie folgt: "Der Testamentsvollstrecker wird angewiesen, meinen beiden Enkeln Beträge in angemessenem Umfang zukommen zu lassen, die insbesondere für eine sachgerechte Berufsausbildung notwendig sind. Dies erfasst z.B. auch die finanzielle Unterstützung bei einem Auslandsstudium oder einem auswärtigen Studium. Die Testamentsvollstreckung endet bezüglich meiner Enkel mit dem 01.01.2024." Zum Testamentsvollstrecker wurde in beiden Fällen der Schwiegersohn der Erblasserin, Herr S L2 (geboren am 00.00.1956), mithin der Vater der Klägerin, berufen.
Die Klägerin erhielt von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der Zeit vom 10.01.2006 bis 31.10.2008 und vom 01.08.2009 bis 31.08.2018.
Am 25.07.2013 verstarb die Erblasserin, mithin die Großmutter der Klägerin. Am 04.10.2013 legte der Testamentsvollstrecker den Anteil der Klägerin am Erbe, einen Betrag in Höhe von 70.000,00 Euro auf einem Festgeldkonto an.
Die Klägerin nahm zum 01.09.2018 ihr Studium der Kulturpädagogik an der Hochschule Niederrhein auf. Aufgrund des Weiterbewilligungsantrags vom 04.09.2018 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft bestehend aus dem Vater und dem Bruder der Klägerin mit Bescheid vom 06.09.2018 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.10.2018 bis 30.09.2019. Ein Anspruch der Klägerin wurde abgelehnt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass mit Beginn der Ausbildung das Vermögen aus der Erbschaft verfügbar geworden sei. Wegen fehlender Hilfebedürftigkeit sei sie von Leistungen ausgeschlossen. Mit dieser Begründung wurden auch die mit Bewilligungsbescheid vom 13.09.2017 zuletzt für die Zeit vom 01.10.2017 bis zum 30.09.2018 bewilligten Leistungen mit Bescheid vom 18.03.2019 für den Monat September 2018 aufgehoben.
Gegen die Ablehnungsentscheidung des Beklagten vom 06.09.2018 legte die Klägerin am 18.09.2018 Widerspruch ein. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2019 zurück.
Die Klägerin hat am 14.02.2019 form- und fristgerecht Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass ihr entgegen der Ansicht des Beklagten kein Vermögen aus dem Nachlass ihrer verstorbenen Großmutter zustehe. Diese habe bis zum 01.01.2024 die Testamentsvollstreckung angeordnet und den Testamentsvollstrecker, den Vater der Klägerin, angewiesen, lediglich Betr...