Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP durch BAG-Beschluss nur gegenwartsbezogen. Equal-Pay-Ansprüche. Betriebsprüfung. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für vergangene Zeiträume. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen Beitragsbescheid. rückwirkende Anwendung einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Vertrauensschutz. Rückwirkungsverbot. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen Beitragsbescheid wegen ernstlicher Zweifel an der gegenwärtigen Rechtmäßigkeit des Bescheides.
2. Mit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichtes vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 = BAGE 136, 302 ist die Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) nur gegenwartsbezogen festgestellt. Insofern bestehen ernstliche Zweifel, ob die auf der Basis eines mit der CGZP abgeschlossenen Tarifvertrages beschäftigten Leiharbeitnehmer gegenwärtig aufgrund einer Tarifunfähigkeit der CGZP einen höheren Entgeltanspruch haben, auf welchen Sozialversicherungsbeiträge für die Vergangenheit nach zu erheben sind (Anschluss an Beschluss des SG Hamburg vom 18.11.2011 - S 51 R 1149/11 ER).
3. Gegen eine rückwirkende Anwendung einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Lasten der beitragspflichtigen Arbeitgeber spricht, dass die Änderung der Rechtsprechung für die Betroffenen hier praktisch wie eine Änderung des Rechts wirkt. Eine Rechtsänderung würde aber einem - sogar verfassungsrechtlichen - Rückwirkungsverbot unterliegen (vgl BVerfG vom 16.11.1965 - 2 BvL 8/64 = BVerfGE 19, 187, vom 15.11.1967 - 2 BvL 7/64 = BVerfGE 22, 330 und vom 10.03.1971 - 2 BvL 3/68 = BVerfGE 30, 272). Da dieses Rückwirkungsverbot ebenfalls aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes entwickelt worden ist, erscheint es nur folgerichtig, den Betroffenen im Falle einer sie belastenden Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung den gleichen Vertrauensschutz zuzubilligen wie bei einer entsprechenden Rechtsänderung, insbesondere wenn es sich um die Anwendung der geänderten Rechtsprechung auf Sachverhalte handelt, die abgeschlossen in der Vergangenheit liegen. Dies bedeutet, dass ihnen bis zur Bekanntgabe der Rechtsprechung bzw. Information hierüber von der zuständigen Verwaltungsstelle Vertrauensschutz zuzubilligen ist (vgl BSG vom 18.11.1980 - 12 RK 59/79 = BSGE 51, 31 = SozR 2200 § 1399 Nr 13).
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 5.12.2011 gegen den Bescheid vom 28.11.2011 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um eine Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt EUR 77.441,07.
Bei der Antragstellerin handelt es sich um ein Dienstleistungsunternehmen in den Bereichen Zeitarbeit und Stellenvermittlung. Die Antragstellerin ist Mitglied im Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleistungsunternehmen (AMP), der seinerseits Tarifpartner der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) ist. In der streitgegenständlichen Zeit verwies die Antragstellerin in den Arbeitsverträgen von ihr entliehener Arbeitnehmer auf die mit der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge (Manteltarifvertrag, Entgeltrahmentarifvertrag, Entgelttarifvertrag und Beschäftigungssicherungstarifvertrag).
Mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10) bestätigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) auf Antrag von Ver.di und dem Land Berlin die vorinstanzlich durch das Arbeitsgericht Berlin (Beschluss v. 1.4.2009, 35 BV 17008/08) und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss v. 7.12.2009, 23 TaBV 1016/09) festgestellte Tarifunfähigkeit der CGZP.
In der Folge führte die Deutsche Rentenversicherung bei den betroffenen Zeitarbeitsunternehmen Betriebsprüfungen durch, in der Zeit vom 6.9.2011 bis 8.9.2011 nach entsprechender Vorankündigung durch die Antragsgegnerin auch bei der Antragstellerin. Prüfungszeitraum war die Zeit vom 1.1.2007 bis 31.12.2009. Zu dem Ergebnis wurde die Antragstellerin mit Schreiben vom 27.10.2011 angehört.
Mit Bescheid vom 28.11.2011 erhob die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin bezogen auf den Prüfungszeitraum eine Beitragsnachforderung in Höhe von EUR 77.441,07. Die angewandten Tarifverträge seien unwirksam, daher stünde den betroffenen Arbeitnehmern derselbe Lohn wie der Stammbelegschaft zu mit der Konsequenz entsprechend höherer Beiträge zur Sozialversicherung. Die Gesamtbeitragsforderung basiere auf einer Schätzung jeweils auf der Grundlage von Beschäftigungsgruppen je nach Entleiherbranche, dem gruppenspezifischen Bruttolohn pro Kalenderjahr, bereinigt um verleihfreie Zeiten, Urlaub etc., verifiziert durch eine Stichprobe und im Wege einer Lohnabstandsbetrachtung in Relation gestellt zu den tatsächlichen Entgelten vergleichbarer Arbeitnehmer. Die Beiträge seien bis zum drittletzten ...