Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungsrecht: Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen. Zulässigkeit der rückwirkenden Beitragsfestsetzung bei Unwirksamkeit eines Tarifvertrages. Entstehung der Beitragsschuld, Zulässigkeit der Nacherhebung trotz vorhergehender beanstandungsfreier Betriebsprüfung
Orientierungssatz
1. Wird die fehlende Tariffähigkeit einer Gewerkschaft durch arbeitsgerichtliches Urteil rechtskräftig festgestellt und werden damit im Ergebnis die von dieser abgeschlossenen Tarifverträge unwirksam mit der Folge, dass eine höhere Vergütung rückwirkend zu gewähren ist (hier: Arbeitnehmerüberlassung), so ist der Sozialversicherungsträger zur rückwirkenden Neufestsetzung der Sozialversicherungsbeiträge aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis berechtigt. Dabei sind auf mögliche Entgeltnachzahlungen im Bezug auf die Entstehung der Beitragsschuld insbesondere nicht die Regeln für die Beitragserhebung bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt anzuwenden.
2. Bei der nachträglichen Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen nach rückwirkendem Wegfall eines den Arbeitgeber in Bezug auf die Höhe des zu zahlenden Entgelts begünstigenden Tarifvertrages kann sich der Arbeitgeber nicht auf Vertrauensschutz berufen.
3. Auch wenn zu einem früheren Zeitpunkt Betriebsprüfungen ohne Beanstandung durchgeführt wurden, schließt das die nachträgliche Festsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen jedenfalls dann nicht aus, wenn sich später herausgestellt, dass die Versicherungs- und Beitragspflicht von Beschäftigten vom geprüften Arbeitgeber im Prüfzeitraum unzutreffend beurteilt wurde (hier: Anwendung eines unwirksamen Tarifvertrages).
Tenor
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.11.2011 wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin über eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen.
Die Antragstellerin ist ein Unternehmen der Zeitarbeit und gehörte dem Arbeitgeberverband AMP an. Sie wandte im hier streitigen Zeitraum den CGZP-Tarifvertrag an. Die Antragsstellerin forderte im Hinblick auf den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10) von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28.11.2011 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.818,40 Euro für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 nach. In dem Verfahren vor dem BAG war über die Tariffähigkeit der CGZP gestritten worden. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte zuvor festgestellt, dass die CGZP nicht tariffähig ist (23 TaBV 1016/09). Das BAG wies die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde zurück. Die Antragsgegnerin schätzte in dem angefochtenen Bescheid die Differenz des Arbeitsentgelts der Leiharbeitnehmer zum Arbeitsentgelt der Stammbelegschaft und legte den sich ergebenden Betrag der Berechnung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu Grunde. Die Antragsstellerin erhob am 05.12.2011 Widerspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Die Antragsgegnerin lehnte die Aussetzung ab und leitete den Antrag als Antrag auf Stundung an die zuständigen Krankenkassen als Einzugsstellen weiter.
Am 24.12.2011 hat sich die Antragstellerin an das Gericht mit dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gewandt. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus der im Bescheid genannten Zahlungsfrist (drittletzter Bankarbeitstag des Monats, der dem Datum des Bescheides folgt). Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Der Beschluss des BAG gelte nicht für die Vergangenheit. Es seien weitere Verfahren hierzu vor den Arbeitsgerichten anhängig. Die Antragsgegnerin dürfe den arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht vorgreifen. Das BAG könne die Wirkung seines Beschlusses auf die Zeit ab dem 14.12.2010 beschränken. Falls die Arbeitsgerichte von einer Tarifunfähigkeit der CGZP auch vor dem 14.12.2010 ausgingen, stelle dies eine echte Rückwirkung dar, die sich an den Maßstäben messen lassen müsse, die für rückwirkende Gesetzesänderungen gelten. Die Antragstellerin beruft sich auf Vertrauensschutz. Es habe keine Hinweise des Gesetzgebers, der Gerichte oder der Verwaltungen auf eine Rechtswidrigkeit der angewandten Tarifverträge gegeben. Zudem sei das Arbeitsentgelt für vergangene Zeiträume frühestens ab dem 14.12.2010 geschuldet. Zuvor hätten Arbeitsgerichte die Wirksamkeit des Tarifvertrages nicht überprüfen dürfen. Die Antragstellerin habe nicht wissen können, dass sie möglicherweise mehr Arbeitsentgelt schulde. Ein equal pay/equal treatment-Anspruch entstehe nicht mit der Arbeitsleistung, sondern erst mit der Wahlentscheidung des Zeitarbeitnehmers. Wenn sich ein Zahlungsanspruch von Arbeitnehmern ergebe, so handele es sich nicht um laufendes Arbeitsentgelt. Zu prüfen sei, ob nicht vielmehr von Einmalzahlungen auszugehen sei. Beitragsansprüche für das Jahr 2006 seien verjährt. Die Voraus...