Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Anwendung des § 41a SGB2 auf Bewilligungszeiträume vor dem 1.8.2016. endgültige Leistungsfestsetzung nach vorläufiger Entscheidung bei unzureichender Mitwirkung. keine Nachholungsmöglichkeit. Anforderungen an das behördliche Hinweisschreiben
Orientierungssatz
1. Die zum 1.8.2016 in Kraft getretenen Neuregelungen des § 41a SGB 2 zur vorläufigen Leistungsbewilligung sind auch auf vor dem 1.8.2016 beendete Bewilligungszeiträume anzuwenden.
2. Die Voraussetzungen für ein behördliches Vorgehen gemäß § 41a Abs 3 S 3, S 4 SGB 2 liegen vor, wenn dem Leistungsberechtigten eine angemessene Frist für die Mitwirkung gesetzt worden ist und er über die Rechtsfolgen belehrt wurde. Als regelmäßig angemessen wird eine Frist von zwei Monaten angesehen. Da die Rechtsfolgen des § 41a Abs 3 SGB 2 bei unzureichender Mitwirkung bis zum endgültigen Anspruchsverlust führen können, sind hohe Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung bzw das behördliche Hinweisschreiben zu stellen. Dazu gehört, dass der Grundsicherungsträger auf die Gefahr des endgültigen Anspruchsverlustes deutlich hinweist, was regelmäßig eine laienverständliche Erklärung des Gesetzestextes nebst Hinweis auf die wirtschaftlichen Folgen erfordert.
Tenor
Der Bescheid vom 09.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2017 wird aufgehoben soweit Leistungsansprüche des Klägers betroffen sind und die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Leistungsansprüche des Klägers im Zeitraum vom 01.11.2012 bis zum 30.04.2013 an den Beklagten zurückverwiesen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer endgültigen Leistungsfestsetzung nach § 41a Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom November 2012 bis April 2013.
Der am 03.02.1971 geborene Kläger lebt in einer Wohnung in O. zusammen mit seiner Ehefrau und zwei minderjährigen Kindern. In der Vergangenheit ist der Kläger seit dem 01.06.2012 als Maler und Lackierer selbstständig tätig gewesen. Mit Bescheid vom 26.10.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger und seinen Familienmitgliedern als Bedarfsgemeinschaft nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) vorläufige Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.11.2012 bis 30.04.2013.
Nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes forderte der Beklagte den Kläger erstmalig mit Schreiben vom 06.05.2013 auf, bis zum 23.05.2013 abschließende Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nebst Belegen und Nachweisen vorzulegen. In dem Schreiben wies der Beklagte u.a. auf §§ 60 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 66, 67 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hin: "Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie und die mit Ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen keine Leistungen erhalten." Auch dieses Schreiben enthält den optisch hervorgehobenen Hinweis: "Jede Angabe ist zwingend durch einen Beleg nachzuweisen."
Am 16.05.2013 reichte der Kläger eine Anlage "abschließende Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit" für den Zeitraum von November 2012 bis April 2013 bei dem Beklagten ein, ohne dem Vordruck entsprechende Nachweise und Belege für die Einnahmen und Ausgaben beizufügen.
Mit Schreiben vom 11.04.2014 forderte der Beklagte den Kläger letztmalig auf, bis zum 28.04.2014 die entsprechenden Belege vorzulegen. In dem Schreiben wies der Beklagte erneut u.a. auf §§ 60 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 66, 67 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hin: "Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie und die mit Ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen keine Leistungen erhalten." Dieses Schreiben enthält ebenfalls den optisch hervorgehobenen Hinweis: "Bitte fügen Sie den Erklärungen die entsprechenden Belege bei."
Am 02.05.2014 reichte der Kläger nochmals abschließende Einkommenserklärungen für die Zeiträume von Mai bis Oktober 2012 sowie November 2012 bis April 2013 ein, ohne weitere Belege beizufügen.
Nachdem der Kläger auch in der Folgezeit keine weiteren Nachweise bei dem Beklagten eingereicht hatte, setzte der Beklagte - ohne weiteres Hinweisschreiben u.ä. - mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.05.2017 für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft des Klägers die Leistungen für den Zeitraum vom 01.11.2012 bis 30.04.2013 endgültig fest. Aufgrund der eingereichten Anlage "Abschließende Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit" habe nun eine abschließende Berechnung erfolgen können. Die sich daraus ergebenen Überzahlungen seien nach § 41a Abs. 6 SGB II zu erstatten. Bei me...