Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag

 

Orientierungssatz

Die Auffassung des 4. Senats des BSG im Urteil vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = SozR 4-2600 § 77 Nr 3 - wonach aus § 77 Abs 2 S 3 SGB 6 folge, dass Bezugszeiten einer Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres keine vorzeitigen Bezugszeiten seien, weshalb bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres der Zugangsfaktor 1,0 für die Rente gelte, hält die Kammer nicht für überzeugend.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Rente des Klägers wegen Erwerbsminderung (EWM) mit dem Zugangsfaktor 1,00 zu berechnen ist.

Dem 1948 geborenen Kläger bewilligte die Beklagte nach sozialgerichtlichem Verfahren auf Grund Anerkenntnisses mit Bescheid vom 24.01.2007 Rente wegen voller EWM auf Dauer ab 01.02.2005 in Höhe von 493,24 €. Sie erkannte im Versicherungsverlauf eine Zurechnungszeit von 46 Monaten für die Zeit vom 27.01.2005 bis 29.11.2008 an und verminderte den Zugangsfaktor von 1,00 um 0,003 für jeden Kalendermonat nach dem 30.11.2008 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres. Sie errechnete damit für 36 Kalendermonate eine Verminderung von 0,108, so dass sie die sich aus dem Versicherungsverlauf ergebenden persönlichen Entgeltpunkte (EP) von 23,3312 mit 0,892 multiplizierte und der Rentenberechnung 20,8114 EP zugrundelegte. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, der bei der Beklagten am 12.02.2007 einging. Zur Begründung berief er sich auf ein Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) - B 4 RA 22/05 R -, wonach die Kürzung des Zugangsfaktors vor Vollendung des 60. Lebensjahres unzulässig sei. Später - März 2007 - widersprach der Kläger vorsorglich einer Aussetzung des Verfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Entscheidung des 4. Senats des BSG entspreche nicht der geltenden Rechtslage, zumal zeitgleich mit der Verminderung des Zugangsfaktors durch § 77 VI. Sozialgesetzbuch (SGB VI) eine Anhebung der Zurechnungszeit nach § 59 SGB VI erfolgt sei, um die Härten der Rentenminderung zu mildern. Besonders deutlich werde der Zusammenhang durch die §§ 253 a, 264 c SGB VI in Verbindung mit der Anlage 23 zum SGB VI, da sich nur in dem Umfang, in dem eine stufenweise zu berücksichtigende zusätzliche Anrechnungszeit zur Anwendung komme, auch der Zugangsfaktor vermindere.

Am 22.05.2007 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, die Entscheidung des 4. Senats des BSG sei eindeutig. Ihr werde von diversen Senaten diverser Landessozialgerichte gefolgt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 24.01.2007 und unter teilweiser Aufhebung ihres Widerspruchsbescheides vom 15.05.2007 zu verurteilen, seine Rente wegen voller EWM ab 01.02.2005 unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors 1,0 zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat den Beteiligten Ablichtungen einer Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Aachen vom 09.02.2007 - S 8 R 96/06 - und einer Entscheidung der 21. Kammer des SG Duisburg vom 14.05.2007 - S 21 (3) R 96/06 - zugeleitet.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, betreffend den Kläger, Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage, mit der der Kläger die Neuberechnung seiner Rente wegen EWM unter Zugrundelegung des Zugangsfaktors 1,00 begehrt, ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig nach § 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Klage ist aber nicht begründet, da die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig sind. folglich wird der Kläger durch sie auch nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VI. Sozialgesetzbuch (SGB VI) ist der Zugangsfaktor bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat der vorzeitigen Inanspruchnahme 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend, § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI. Die Rentenbezugszeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres gilt insoweit nicht als Zeit der vorzeitigen Inanspruchnahme, § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI.

Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Vorschriften, die das Gericht für eindeutig hält, hat die Beklagte zu Recht den Zugangsfaktor bei der Berechnung der EWM-Rente des Klägers um 0,108 auf 0,892 vermindert und diesen Zugangsfaktor mit den persönlichen EP des Klägers von 23,3312 multipliziert.

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So auch: SG Aachen, Urteil vom 09.02.2007, Az: S 8 R 96/06 -

Die entgegenstehende Au...

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