Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Anspruch eines unter 25 jährigen Grundsicherungsempfängers auf Übernahme von Unterkunftskosten. Anforderungen an die Annahme schwerwiegender sozialer Gründe als Anspruchsvoraussetzung

 

Orientierungssatz

1. Auch eine von Gleichgültigkeit, Isolation und fehlender Bindung geprägte familiäre Situation kann die Annahme schwerwiegender sozialer Gründe rechtfertigen, die ausnahmsweise auch bei einem Grundsicherungsempfänger unter 25 Jahren einen Anspruch auf volle Regelleistung und Übernahme von Kosten der Unterkunft, einschließlich der Zusicherung der Kostenübernahme bei geplantem Bezug einer eigenen Wohnung, begründen, insbesondere wenn zudem in der elterlichen Wohnung kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht.

2. Einzelfall zur Einordnung einer durch einen Verwandten aushilfsweise erbrachten Leistung an einen Grundsicherungsempfänger als Darlehen, vgl. u.a. BSG, Urteil vom 19. August 2010 - B 14 AS 10/09 R.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.6.2009, sowie Abänderung des Bescheides vom 17.2.2009 und des Änderungsbescheides vom 21.4.2009 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.12.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 231,00 EUR und für die Zeit vom 1.1.2009 bis 30.4.2009 in Höhe von 351,00 EUR monatlich zu gewähren, sowie für die Zeit vom 4.11.2008 bis einschließlich 31.1.2009 zusätzlich Leistungen der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 337,50 EUR.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens um die Höhe der dem Kläger für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.5.2009 zustehenden Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Der 24jährige Kläger absolvierte im Jahre 2005 die Fachhochschulreife. Seitdem ist er arbeitssuchend. Nach eigenem Bekunden hat er nach dem Schulabschluss den Anschluss an das reale Leben verloren und sich von der Welt zurückgezogen. In der Zeit von Anfang bis Mitte 2005 hat er sich einer ambulanten psychiatrischen Therapie unterzogen. Seither befindet er sich nicht mehr in Behandlung.

Der 1,96 cm große Kläger wohnte in einem ca. 15 qm großen und von Schimmel befallenen Kellerraum im Zwei-Familienhaus seiner Eltern im W.Weg in Essen; die Deckenhöhe des Raumes betrug 1,80 cm. Die Eltern und die erwachsene Schwester des Klägers bewohnten gemeinsam die ca. 65 qm große Erdgeschosswohnung des Hauses. Die Wohnung in der oberen Etage ist ebenfalls ca. 65 qm groß und wird von der Großmutter des Klägers auf Grund eines lebenslangen Wohnrechtes genutzt.

Die Mutter des Klägers bezog bis zum 31.12.2008 Kindergeld in Höhe von EUR 154,00 und ab dem 1.1.2009 in Höhe von EUR 164,00. Das Kindergeld wurde an den Kläger weitergeleitet, ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge im November und Dezember 2008 jedoch nur in Höhe von EUR 150,00.

Erstmalig am 4.11.2008 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Zugleich legte er einen auf den 22.8.2008 datierenden Mietvertrag über seine jetzige Wohnung am W. 2 in E. mit Mietbeginn zum 1.10.2008 vor. Der Mietvertrag war zunächst von der Mutter des Klägers unterschrieben, zum 1.10.2008 jedoch auf diesen umgeschrieben worden.

Die Wohnung am W. ist 40 qm groß. Die Warmmiete für die Wohnung betrug in der streitgegenständlichen Zeit EUR 352,00 bestehend aus einer Grundmiete in Höhe von EUR 232,00 monatlich, Heizkosten in Höhe von EUR 70,00 und Nebenkosten in Höhe von EUR 50,00 monatlich.

Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache vom 2.12.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zustimmung zum Umzug. Das Jugendamt würde den Umzug befürworten. Ausweislich der vom Kläger unterschriebenen Verhandlungsniederschrift vom selben Tage wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Grundmiete von EUR 232,00 für einen 1-Personen-Haushalt unangemessen und daher bereits aus diesem Grunde keine Zustimmung zu erteilen sei und insoweit für die Wohnung, die der Kläger dennoch beziehen wolle, weder die laufenden Kosten noch die Beschaffungskosten übernommen würden.

Im Laufe des Monats Dezember 2008 zog der Kläger in die Wohnung am W. ein.

Mit Schreiben vom 11.2.2009 teilte das Jugendamt der Stadt E. der Beklagten mit, dass sich der Kläger dort vorgestellt habe. Es ergäben sich jedoch keine Anhaltspunkte zur Gewährung von Jugendhilfe. Der Kläger wirke im Gespräch zurückhaltend, habe aber klare Zukunftsperspektiven. Es bestünde kein Hilfebedarf.

Mit Bescheid vom 17.2.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.5.2009 Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung des Kindergeldes in Höhe von lediglich 80 % der Regelleistung, sowie keine Leistungen der Unterkunft und Heizung.

Mit Schreiben vom 18.2.2009 erklärte die Beklagte dem Kläger den Bewilligungsbescheid vom 17.2.2009 dahingehend, dass ...

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