Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Einpersonenhaushalt. Wahrnehmung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden Kind. Erhöhung der Wohnflächengrenze für den Besuchsaufenthalt. verfassungskonforme Auslegung. Ermittlung der Angemessenheitsgrenze. Umzug in eine unangemessene Unterkunft. fehlende schriftliche Zusicherung

 

Orientierungssatz

1. Für einen alleinstehenden Hilfebedürftigen ist in Nordrhein-Westfalen eine Unterkunft mit maximal 45 qm Wohnfläche angemessen iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2.

2. Aus der besonderen Förderungspflicht des Staates gem Art 6 Abs 1 GG ergibt sich bereits, dass - unter der Voraussetzung einer gewissen Regelmäßigkeit und zeitlichen Erheblichkeit der Anwesenheit von Kindern im Haushalt eines hilfebedürftigen Elternteiles - dort ein höherer Anspruch auf Leistungen für Unterkunft bestehen muss. Eine Erhöhung der Wohnflächengrenze aufgrund der Ausübung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden Kind kommt aber noch nicht in Betracht, wenn das Kind lediglich ein- bis zweimal monatlich im Haushalt des hilfebedürftigen Elternteils übernachtet und ihn nur einmal in der Woche besucht. Die notwendige zeitliche Erheblichkeit ist in diesem Fall noch nicht erreicht.

3. Für einen Einpersonenhaushalt im Gebiet der Stadt Essen ist ein Quadratmeterpreis von 4,83 Euro als angemessen iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 zu betrachten, so dass die Grundmiete ohne Nebenkosten grundsätzlich maximal 217,50 Euro betragen darf.

4. Bei der Feststellung der abstrakten Angemessenheit der Unterkunftskosten bzw des Quadratmeterpreises am Wohnort des Hilfebedürftigen ist in einer Großstadt wie Essen das gesamte Stadtgebiet in seinen kommunalverfassungsrechtlichen Grenzen als räumlicher Vergleichsmaßstab heranzuziehen.

5. Bei der Überprüfung der vom Grundsicherungsträger ermittelten Angemessenheitsgrenze iS des § 22 SGB 2 - hier anhand des qualifizierten Mietspiegels des Jahres 2007 für Essen und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der beigezogenen Beobachtungen des Wohnungsmarktes durch die Wohnungsbauförderungsanstalt Nordrhein-Westfalen (WfA) "Angemessenheit des Mietwohnungsangebotes in Essen - Sonderauswertung aus der Wohnungsmarktbeobachtung NRW auf Basis der Zeitungsanalyse aus Juni 2007" - ist eine Wohnungsausstattung zu berücksichtigen, die sich nicht zwingend im untersten, sondern im unteren Bereich zu bewegen hat. Hierbei ist auf die älteren Baualtersklassen bzw -gruppen des Mietspiegels für Gebäude mit einem Baujahr bis 1984 abzustellen und nicht auf Neubauwohnungen bzw auf bis zu 20 Jahre alte Wohnungen.

6. Bei der Prüfung, ob eine angemessene Unterkunft für den Hilfebedürftigen konkret verfügbar und zugänglich ist, ist es in einer Großstadt wie Essen (583.000 Einwohner) unter Berücksichtigung des Rechtes auf Verbleib im sozialen Umfeld ausreichend, wenn konkrete Unterkunftsalternativen im Stadtbezirk (nicht im Stadtteil) oder im Umkreis von 5 km zum bisherigen Wohnort vorhanden sind. Wobei diese Grenze nicht statisch anwendbar ist, sondern Anfahrtswege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Pflege persönlicher Kontakte des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.

7. Bei der Prüfung der Unterkunftsalternativen ist im Hinblick auf die Ausübung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden Kind zu berücksichtigen, dass das hier 15-jährige Kind für die Übernachtung einen eigenen Schlafraum benötigt und der Hilfebedürftige insofern nicht auf Einzimmerwohnungen verwiesen werden kann.

8. Überschreiten die Unterkunftskosten die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 und ist der Übergangszeitraum nach § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 bereits verstrichen oder wegen Umzugs in eine unangemessene Unterkunft während des Leistungsbezugs nicht anwendbar, so kann ein Anspruch auf Kostenübernahme auch nicht aus § 22 Abs 2 SGB 2 hergeleitet werden, wenn keine schriftliche Zusicherung des Grundsicherungsträgers für die neue Unterkunft vorliegt. Denn bei der Zusicherung nach § 22 Abs 2 SGB 2 handelt es sich um eine solche nach § 34 SGB 10, die nur bei Schriftform wirksam ist.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die angemessene Höhe der Kosten der Unterkunft.

Der 52jährige einkommens- und vermögenslose Kläger war selbständiger Immobilienmakler. Sein Gewerbe gab er am 25.8.2004 auf. Seitdem bezog er zunächst Sozialhilfeleistungen. Seit dem 1.5.2003 bewohnte der Kläger eine 90 qm große Wohnung "Am St" in Essen, deren Grundmiete EUR 659,57 betrug.

Am 30.8.2004 stellte der Kläger den ersten Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Mit Schreiben vom 31.8.2004 forderte das Sozialamt der Stadt Essen den Kläger auf, seine Unterkunftskosten zu senken. Die angemessene Kaltmiete für einen 1-Personen-Haushalt betrüge EUR 217,30. Die tatsächlichen Kosten würden nur noch für 6 Monate beginnend ab dem 1.8.2004 übernommen.

Am 17.11.2004 schloss der Kläger einen Mietvertrag mit seiner jetzigen Vermieterin über eine ca. 55 qm große 2-Raum-Wohnung in der "S. Str." in Essen...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge