Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung: Bestimmung der zuständigen Berufsgenossenschaft. Voraussetzung einer Überweisung an einen neuen Unfallversicherungsträger. Anforderung an die Zuordnung eines Unternehmens zum Bereich der Wohlfahrtspflege

 

Orientierungssatz

1. Die einmal begründete Zuständigkeit eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung kann nur geändert werden, wenn die Zuständigkeit in einem eindeutigen Widerspruch zu den sich aus der materiellen Rechtslage ergebenden Zuständigkeitsregelungen steht. Dabei setzt die Annahme eines eindeutigen Widerspruch voraus, dass die Unrichtigkeit auf einem grobem Verstoß des Unfallversicherungsträgers gegen seine Ermittlungs- und Prüfungspflicht beruht.

2. Hat ein Unternehmen als Unternehmenszweck die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in seiner Satzung verankert und wurde zudem die Gemeinnützigkeit der Tätigkeit anerkannt, so ist eine unfallversicherungsrechtliche Zuordnung des Unternehmens zu einer Berufsgenossenschaft im Bereich der Wohlfahrtspflege sachgerecht. Eine Änderung der Zuordnung aufgrund einer Tätigkeit im Bereich Handel, die durch das Unternehmen ausgeübt wird, kommt dann nicht in Betracht.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.11.2017; Aktenzeichen B 2 U 125/17 B)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten und der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 179.022,21 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt an verschiedenen Standorten in Deutschland Läden und Werkstätten sowie einen Online-Shop in denen gebrauchte EDV Ware (PC s, Notebooks, Drucker, Server und weiteres Zubehör) aufgearbeitet oder in Wertstoffe zerlegt werden. Gegenstand des Unternehmens ist nach § 2 des Gesellschaftsvertrags "die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt". Nach § 3 des Gesellschaftsvertrages verfolgt die Gesellschaft ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Nach Angaben der Klägerin wurden am 01.01.2013 159 Mitarbeitern beschäftigt. Davon waren 44,64 v.H. behinderte Menschen, darunter 40,25 v.H. aus der Zielgruppe des § 132 Abs.1 9. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX). Von den 159 Mitarbeitern waren 15 in leitender Funktion, 14 in der Verwaltung, 45 in Vertrieb, Verkauf und Logistik, 55 in Technik, Test, Zerlegung und Softwareentwicklung und 30 als Auszubildende und Praktikanten beschäftigt. Im Handelsregister (Amtsgericht Essen, Handelsregister B, HRB 21251) heißt es, das Unternehmen sei als Integrationsobjekt im Sinne des § 132 SGB IX tätig. Weiter heißt es: "Das Unternehmen betreibt keinen reinen Handel, sondern lässt alle EDV-Produkte von behinderten Menschen "veredeln". Mit Bescheid vom 26.11.2009 (Zuständigkeitsbescheid) erklärte die Beklagte ihre Zuständigkeit für das Unternehmen und veranlagte das Unternehmen innerhalb der Tarifstelle 17 mit dem Strukturschlüssel 0830 (Beschäftigungs-/ Qualifizierungsprojekte") zur Gefahrklasse 9,10. Diese Bescheide und die darauf basierenden Beitragsbescheide blieben unangefochten. Mit Veranlagungsbescheid vom 15.11.2012 wurde das Unternehmen dem Strukturschlüssel 0830 (Beschäftigungs-Qualifizierungsprojekte, Integrationsunternehmen") in der Tarifstelle 17 zugeordnet. Dieser Bescheid blieb ebenfalls unangefochten.

Unter dem 28.02.2013 beantragte die Klägerin die Überweisung des Unternehmens an die zuständige Berufsgenossenschaft. Da der Schwerpunkt im Vertrieb und in der Verwertung von EDV-Geräten liege, sei die Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft (BG) für Handel und Warendistribution (jetzt BG für Handel und Warenlogistik) - der Beigeladenen - gegeben. Die Widerspruchsführerin sei kein bloßes Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekt und keine marktferne Einrichtung mit primär sozialem Charakter. Die Art der Gewinnverwendung gäbe für das Unfallgeschehen und die darauf zu gründende berufsgenossenschaftliche Zuordnung nichts her. Es handele sich um ein normales Unternehmen, das Tariflöhne zahle, sowie Steuern und Sozialabgaben entrichte. Die Feststellung der Zuständigkeit durch die Beklagte verstoße gegen höherrangiges Gesetzes- und Verfassungsrecht. Hierzu verwies die Klägerin auf §§ 132 ff. SGB IX, § 7 Allgemeines Gleichstellungsgesetz, § 33c 1. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB I), § 7 Behindertengleichstellungsgesetz sowie Artikel 3 Grundgesetz (GG). Mit Bescheid vom 22.04.2013 wurde der Antrag auf Überweisung des Unternehmens an die Beigeladene abgelehnt. Dagegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 06.05.2013. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass sich aus der im Gesellschaftsvertrag und im Handelsregister ausgewiesenen gemeinnützigen Zweckbestimmung kein Anknüpfungspunkt für die Begründung der sachlichen Zuständigkeit der Beklagten ableiten ließe. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2013 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Überweisung nach § 136 Abs. 1 Satz 4 SGB VII seien nicht erfüllt, denn die Beklagte sei für ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge