Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des sorgeberechtigten Elternteils als Unionsbürger auf Leistungen der Grundsicherung nach dem Aufenthaltsrecht dessen minderjähriger Kinder

 

Orientierungssatz

1. Nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ist dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge auch ohne Existenzsicherung i. S. von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Das in Art. 18 AEUV verankerte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist auch auf minderjährige Unionsbürger anzuwenden, die über ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG verfügen. Dies hat zur Folge, dass deren Mutter gleichfalls ein Aufenthaltsrecht aus § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG zusteht. Damit entfällt der Anwendungsbereich der Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2.

2. Die Mutter ist nach § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB 2 der Bedarfsgemeinschaft ihres Lebenspartners und der gemeinsamen Kinder zuzuordnen und nach dem SGB 2 leistungsberechtigt.

 

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin als Angehöriger der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebenspartner, Herrn C. C., sowie den gemeinsamen Kindern D., E. und F. Leistungen zur Sicherung Lebensunterhaltes nach dem SGB II in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang und vorläufig für die Zeit vom 2. Dezember 2019 bis 31. März 2020 zu gewähren.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin ... Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das erstinstanzliche Verfahren der einstweiligen Anordnung mit Wirkung ab 2. Dezember 2019 bewilligt.

 

Gründe

Mit ihrem beim hiesigen Sozialgericht am 2. Dezember 2019 eingegangenen Antrag begehrt die Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr als Angehöriger der Bedarfsgemeinschaft ihres Lebenspartners sowie dreier gemeinsamer Kinder die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) zu gewähren.

Die 1990 geborene Antragstellerin ist als rumänische Staatsangehörige freizügigkeitsberechtigt. Sie gehört der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten, Herrn C. C., sowie den 3 gemeinsamen Kindern D. (geb. 2014), E. (geb. 2016) sowie F. (geb. 2017) an. Ausweislich der Verwaltungsakte ging ihr vorgenannter Lebenspartner in der Zeit vom 15. April 2019 bis 31. Oktober 2019 einer geringfügigen Beschäftigung als Aushilfskraft nach. Die ausgesprochene Kündigung wertete der Antragsgegner als unverschuldet und bewilligte dem Lebensgefährten der Antragstellerin einschließlich der 3 gemeinsamen Kinder - wie bereits zuvor durch Bescheid vom 19. August 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2019 - die SGB II-Leistungen durch Bescheid vom 19. November 2019 in Gestalt des Bescheides vom 23. November 2019 für die Zeit vom 1. Dezember 2019 bis 31. März 2020 weiter. Dagegen legte die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin am 2. Dezember 2019 Widerspruch ein.

Mit ihrem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes trägt die Antragstellerin vor, ihr stehe ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen zu. Ihr Lebenspartner sei weiterhin freizügigkeitsberechtigt gemäß § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU; S. 2 nachwirkende Arbeitnehmereigenschaft), so dass die gemeinsamen Kinder als Familienangehörige nach § 3 FreizügG/EU Freizügigkeit genössen. Daraus folge, dass ihr als sorgeberechtigtem Elternteil ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zustehe. Zwar sei die analoge Anwendung der vorgenannten Vorschrift auf die Konstellation der Sorgeberechtigung gegenüber minderjährigen Unionsbürgern umstritten (zustimmend: LSG NRW Beschluss vom 30. November 2015, Az.: L 19 AS 1713/15 B ER), wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Beschluss vom 4. Oktober 2019 (Az.: 1 BvR 1710/18) gerade für diese Fallkonstellation festgestellt habe. Jedoch sei in solchen Fällen des offenen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden und überwögen im Rahmen der dabei vorzunehmenden Abwägung ihre grundrechtlich geschützten Belange. Insoweit sei insbesondere die aus der Menschenwürde resultierende Notwendigkeit der Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums von Bedeutung. Deshalb habe das Interesse des Leistungsträgers, ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden, gegenüber dem ausschließlich gegenwärtig sicherzustellenden Existenzminimum zurückzutreten und seien ihr die SGB II-Leistungen somit vorläufig zu gewähren.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr ab Antragstellung vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu gewähren.

Der Antragsgegner beantrag...

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