Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme der häuslichen Krankenpflege in vollem Umfang. keine Anrechnung der Grundpflegezeit. Annahme eine Anordnungsgrundes für Erlass einer einstweiligen Anordnung
Orientierungssatz
1. Eine Krankenkasse hat die nach dem Gesetz notwendigen Kosten einer häuslichen Krankenpflege (hier 24-Stunden-Behandlungspflege) in vollem Umfang zu übernehmen, selbst wenn der Pflegedienst auch die Grundpflege mitleisten kann oder könnte.
2. Eine Anrechnung der Grundpflegezeit nach dem SGB 11 auf die Behandlungspflege verstößt gegen höherrangiges Recht.
3. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt die Annahme eines Anordnungsgrundes voraus, dass anderenfalls mit schweren und unzumutbaren Nachteilen zu rechnen ist, weil das Abwarten des Hauptsacheverfahrens zu einem Risiko irreversibler gesundheitlicher Beeinträchtigungen führt, und der Betroffene nicht in der Lage ist, die Kosten vorläufig selbst zu tragen.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 10.11.2009 bis einschließlich 31.12.2009 häusliche Krankenpflege gem. § 37 Abs. 2 SGB V für 24 Stunden täglich zu gewähren unter Anrechnung der Leistungen der Pflegekasse in Höhe von 1.470,00 € monatlich.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt eine vorläufige Regelung hinsichtlich Leistungen der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden täglich ohne Anrechnung von Grundpflegezeiten und ohne Anrechnung von Leistungen der Pflegestufe III.
Der 1979 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Er leidet an amyotropher Lateralsklerose, einer progredient verlaufenden neuromuskulären Erkrankung. Er ist tracheotomiert und muss rund um die Uhr beatmet werden. Ernährt wird er über eine Sonde.
Der Antragsteller wurde aufgrund des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 08.10.2009 in die Pflegestufe III eingestuft. Er bekommt von der Pflegekasse der BKK Gesundheit monatlich Leistungen in Höhe von 1.470,00 €. In seinem Gutachten vom 08.10.2009 stellte der MDK einen für die Grundpflege erforderlichen Zeitaufwand von 245 Minuten pro Tag und einen für die hauswirtschaftliche Versorgung erforderlichen Zeitaufwand von 103 Minuten pro Tag fest. Die Grundpflege wird durch Mitarbeiter eines Pflegedienstes erbracht. Die hauswirtschaftliche Versorgung übernimmt die Lebensgefährtin des Antragstellers, die mit ihm zusammenlebt und vollschichtig berufstätig ist.
Am 27.10.2009 verordnete die behandelnde Ärztin des Antragstellers für die Zeit vom 26.10.2009 bis einschließlich 31.12.2009 häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Die häusliche Krankenpflege beinhaltet die Beatmungspflege, Vitalzeichenüberwachung, endotracheale Absaugung bei Bedarf sowie Trachealkanülenwechsel bei Bedarf. Die häusliche Krankenpflege ist 24 Stunden täglich notwendig. Die Person, welche die häusliche Krankenpflege durchführt, benötigt medizinisches Fachwissen, um Komplikationen rechtzeitig erkennen zu können. Durchgeführt wird die Behandlungspflege durch Mitarbeiter eines Pflegedienstes. Dabei erbringt der jeweilige Mitarbeiter des Pflegedienstes gleichzeitig auch die Grundpflege. Die Lebensgefährtin des Antragstellers verfügt nicht über das notwendig Fachwissen für die Durchführung der Behandlungspflege; außerdem steht die Lebensgefährtin des Antragstellers nicht 24 Stunden täglich zur Verfügung, da sie vollschichtig berufstätig ist.
Mit Bescheid vom 30.10.2009 bewilligte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme für häusliche Krankenpflege. In dem Bescheid steht wörtlich: “wir übernehmen die Kosten zu den vereinbarten Vertragssätzen: 24 h Pflege a 31,50/h. Abzüglich der Pflegeleistungen entsprechend der Pflegestufe III„. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 10. November 2009 Widerspruch.
Am 10. November 2009 hat der Antragsteller Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Er trägt vor, der Anspruch des Antragstellers auf häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich an 7 Tagen in der Woche erfahre nicht deshalb eine Einschränkung, weil der Antragsteller zugleich pflegebedürftig im Sinne der sozialen Pflegeversicherung sei und in die Pflegestufe III eingestuft sei. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus den Entscheidungen des BSG vom 28.01.1999, Az. B 3 KR 4/98 R und vom 10.11.2005, Az. B 3 KR 38/04 R, in denen das BSG einen Vorrang der Grundpflege vor der zeitgleich erbrachten Behandlungspflege postuliert habe. Es fehle bereits an einer gesetzlichen Regelungslücke, die einer Ausfüllung durch die Rechtsprechung zugänglich sein könnte, da § 13 Abs. 2 SGB XI bestimme, dass die Leistungen der Pflegeversicherung die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V unberührt lassen; die Leistungsansprüche nach § 37 SGB V und nach dem