Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Anspruch auf Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion
Orientierungssatz
Zum Anspruch eines gesetzlich Versicherten auf Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für einen Elektrorollstuhl mit Stehfunktion Modell Permobil F5 Corpus VS zu übernehmen.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion.
Der 1990 geborene Kläger ist als Labormitarbeiter beschäftigt und bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihm besteht seit Geburt eine progrediente Muskeldystrophie vom Typ Becker-Kiener mit Spitzfußstellung beidseits und einem Immobilitätssyndrom. Die Gehfähigkeit ist aufgehoben, das Stehen ist nur eingeschränkt möglich. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 und dem Merkzeichen „aG“ anerkannt und bezieht Leistungen der Pflegeversicherung nach der früheren Pflegestufe I. Die Beklagte versorgte den Kläger im Juni 2014 mit einem Elektrorollstuhl „Quickie Jive M mit Sitzlift“, der über eine elektrische Rückenverstellung, Sitzkantelung und einen Hub verfügt.
Am 6. März 2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage einer Verordnung des Dr. D. vom 13. Februar 2017 die Kostenübernahme für einen Elektrorollstuhl mit Aufstehfunktion. Entsprechend einem Kostenvoranschlag der Firma E. GmbH sollten die Kosten für einen Elektrorollstuhl mit Stehfunktion und elektrischen Verstell- und Programmiermöglichkeiten Modell „Permobil F5 Corpus VS“ des Herstellers F. GmbH nebst Zubehör insgesamt 34.653,56 € betragen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21. März 2017 den Antrag mit der Begründung ab, eine geeignete wirtschaftliche Alternative sei ein Greifenrollstuhl mit Stehfunktion.
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 27. März 2017 Widerspruch ein. Er machte geltend, die Muskeldystrophie ziehe den Beckengürtel und zunehmend auch den Schultergürtel in Mitleidenschaft. Als Nebenerkrankung leide er bereits an einer Herzinsuffizienz. Um sich den dauerhaften Anforderungen des täglichen Lebens und im Arbeitsleben langfristig stellen zu können, sei ein Positionswechsel in den unterschiedlichen Anforderungen nötig. Der ihm in 2014 überlassene Elektrorollstuhl ohne Stehfunktion könne die zunehmenden Behinderungen der Erkrankung nicht mehr ausreichend ausgleichen. Aufgrund der fortschreitenden Erkrankung könne er mittlerweile auch die Funktion des aus dem Rollstuhl Aufstehens nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen. Die motorische Unterstützung des Bewegens, des Aufstehens und Wiederhinsetzens mit elektrischer Hilfe stelle zusammen mit den behindertengerechten Zurichtungen einen wichtigen Bestandteil seines Behinderungsausgleiches dar. Auch diene der Elektrorollstuhl mit Stehfunktion der Kontraktionsprophylaxe, der Kreislaufstabilisierung bei bekannter Herzinsuffizienz und der Partizipation mit anderen Menschen.
Das Angebot der Beklagten vom 28. November 2017, ihn mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion „C 400 VS“ zu versorgen, lehnte der Kläger ab, da die Stehkurve nicht individuell programmiert werden könne.
Vorgelegt hatte der Kläger einen Arztbericht der Orthopädischen Klinik König-Ludwig-Haus Würzburg vom 7. Januar 2013, ein Attest des Arztes G. vom 19. Januar 2018, einen Arztbericht der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Würzburg vom 21. Mai 2018, eine befürwortende Begründung für einen Elektrorollstuhl mit Stehfunktion des Neuromuskulären Zentrums der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg vom 9. Juli 2018 sowie ein Attest des Facharztes für Neurologie Dr. H. vom 6. September 2018.
Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Hessen vom 12. September 2018 ein. Darin gelangte der Gutachter nach Aktenlage zu der Beurteilung, der derzeit vorhandene Elektrorollstuhl Modell Quickie Jive sei für den Kläger noch ausreichend und zweckmäßig. Die Stehfunktion im Elektrorollstuhl sei derzeit nicht zwingend erforderlich. Die Durchführung des Stehtrainings bedinge keine Neuanschaffung mit dem beantragten Rollstuhl. Er führte aus, der Elektrorollstuhl Modell Quickie Jive sei mit elektrischen Verstellmöglichkeiten der Sitzposition versehen und verfüge über eine Hubfunktion des Sitzes. Mit dieser Hubfunktion ließen sich auch Transfers auf Toilette, Bett usw. ausführen und auch die Kommunikation mit Blickkontakt erleichtert werden.
Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 29. November 2018 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 6. Dezember 2018 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Er ist unter Verweis auf sein Vorbringen im Vorverfahren der Ans...