Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewaltopferentschädigung. mittelbar Geschädigter. Schockschaden. psychische Erkrankung
Orientierungssatz
1. Zum Vorliegen eines Anspruchs auf Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz, wenn eine gesundheitliche Schädigung aufgrund eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen eine andere Person eintritt (hier: Auffinden der ermordeten Mutter).
2. Für eine Eingrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises des § 1 Abs 1 S 1 OEG, wie sie im Rundschreiben vom BMA vom 6.8.1996 - VI 1-52039/3 C = BArbBL 1996, Nr 11, 71 beschrieben ist, gibt es keine rechtliche Grundlage, die sich unmittelbar aus dem OEG ableitet.
Nachgehend
Tenor
(1) Unter Aufhebung des Bescheides vom 12.11.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.1997 wird das beklagte Land verurteilt, der Klägerin Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz wegen der Folgen des gewaltsamen Todes ihrer Mutter am xx.xx.1995 zu gewähren.
(2) Der Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
(3) Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Voraussetzungen für Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die ...1964 geborene Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 28.11.1995 die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Sie habe einen psychischen Schaden durch den gewaltsamen Tod ihrer Mutter (I H.) am 24.05.1995 erlitten.
Die am 07.10.1938 geborene Mutter der Klägerin lebte zusammen mit ihrem Ehemann K H., geboren am 05.08.1952, ihrem zweiten Ehemann und Stiefvater der Klägerin, seit etwa 1977 zusammen in der Erdgeschosswohnung des Hauses ... 91 in N Im zweiten Stock und im Dachgeschoss dieses Hauses wohnte die von ihrem Ehemann getrennt lebende Klägerin mit ihren zwei Kindern. Die Wohnung im ersten Stock des Hauses bewohnte eine alleinstehende Frau mit Kindern. Am 24.05.1995 fand die Klägerin ihre Mutter blutüberströmt auf deren Küchenboden liegend vor, nachdem sie (die Klägerin) durch ihren Stiefvater herbeigerufen worden war.
Nach den Strafakten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt (Az.: ... -- insbesondere dem Tatortbefundbericht der Polizei vom 24.05.1995 -- stellte sich am Tattag aufgrund erster Ermittlungen die Tat folgendermaßen dar:
K H. verließ die Wohnung am Tattag gegen 5 Uhr morgens, um in das mit seiner Frau zusammen geführte Geschäft zu gehen. Bei seiner Rückkehr gegen 7 Uhr 30 fand er seine Frau leblos in ihrem Blute liegend vor. Die herbeigerufene Notärztin sowie die Polizei gingen von einer Gewalttat gegenüber I H. aus, deren Tod aufgrund von stumpfen Gewalteinwirkungen gegen den Kopf und -- wie sich später bestätigte -- durch Erdrosseln eingetreten war. Die Tote hatte viel Blut verloren. Die gesamte Küche war mit Blut verschmiert, an den Küchenschränken waren Blutspritzer. Der gesamte Küchenboden war voller Blut, da das Notarztteam durch die Blutlachen hin- und hergelaufen war.
Laut Vernehmungsprotokoll der Polizei vom 24.05.1995 stellte sich der Sachverhalt aus der Sicht der Klägerin am Tattag folgendermaßen dar:
Sie sei gegen 7 Uhr aufgestanden, zu ihrer Tochter in den zweiten Stock gegangen, um sie zu wecken. Gegen 7 Uhr 20 habe sie die Blumen auf dem Balkon gegossen. K H. habe um ca. 7 Uhr 30 bei ihr geklingelt und gesagt, er käme nicht ins Haus, weil der Schlüssel von innen stecke. Kurze Zeit später habe sie ihn schreien gehört: "Nein, wie konnte sie das nur machen." Ihr sei klar gewesen, dass sich ihre Mutter etwas angetan habe. Die Beziehung zwischen den Eheleuten sei getrübt gewesen, außerdem hätten wirtschaftliche Schwierigkeiten bestanden. Ihre Mutter habe darüber geklagt, dass ihr die Schulden über den Kopf wachsen würden. In den letzten Monaten hätte sie auch mal über Selbstmord gesprochen.
Als sie (die Klägerin) den K rufen hörte, habe sie die Feuerwehr angerufen. Ihr sei diese Telefonnummer zuerst eingefallen, weil ihr Ehemann dort tätig gewesen sei. Dann sei sie runtergegangen in die Wohnung ihrer Mutter, wo sie ihre Mutter auf dem Küchenboden auf dem Bauch habe liegen sehen. Der K habe ihr die Tür von innen aufgemacht. Seine Hände und sein Gesicht seien blutig gewesen. Überall in der Küche sei Blut gewesen. Für sie sei klar gewesen, dass sich ihre Mutter die Pulsadern aufgeschnitten habe. Sie habe nur kurz auf ihre Mutter geblickt und sei dann wieder nach oben gegangen. Wegen des vielen Blutes sei sie davon überzeugt gewesen, dass ihre Mutter tot war.
Auf die Frage des vernehmenden Polizisten, ob sie dem K H. eine Gewalttat zutraue, sagte die Klägerin (am Tattag), dass sie es nicht wisse. "Menschen sind unberechenbar. Eigentlich glaube ich das nicht."
Laut Akten der Staatsanwaltschaft verdichtete sich der Verdacht gegen den Ehemann der Getöteten, so dass am Tag nach der...