Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsschutzbedürfnis. Asylbewerberleistungen. Analogleistungen. Anschaffung eines internetfähigen Computers. Ausstattung mit einem Leihgerät während des Distanzunterrichts in der Coronapandemie. Bedarfsdeckung durch den Regelbedarf und die Leistungen für Bildung und Teilhabe. Fachliche Weisung der BA zu § 21 SGB 2. Verfassungsmäßigkeit. menschenwürdiges Existenzminimum. Erforderlichkeit für die Teilnahme am Präsenzunterricht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es fehlt an einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, wenn er während des Distanzunterrichts in der Coronapandemie mit einem Leihgerät durch die Schule ausgestattet war.

2. Die Beschaffung eines internetfähigen PC ist grundsätzlich aus dem Regelsatz und aus den gewährten Bedarfen für Bildung und Teilhabe zu decken.

3. Die Fachliche Weisung zu § 21 SGB II, Nummer 202102001, der Bundesagentur für Arbeit ist im Rechtskreis des SGB XII nicht beachtlich.

4. Eine Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimums nach Art 1 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG und von Art 3 Abs 1 GG ist ebenfalls nicht ersichtlich, wenn die Teilnahme des Klägers im coronabedingten Fernunterricht durch die Zurverfügungstellung eines Leihgerätes sichergestellt war und darüber hinaus, die Schule auf Nachfrage des Gerichts mitgeteilt hat, dass ein internetfähiger Computer oder Laptop zum Schulbesuch nicht notwendig ist.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Übernahme von Kosten für die Anschaffung eines Laptops samt Hardware für den Distanzunterricht in der Corona-Pandemie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Der Kläger ist 2006 in Kabul geboren. Er wird von seinem ehrenamtlichen Vormund B., B-Straße, A-Stadt vertreten. Der Vormund wurde gem. § 1779 BGB vom Familiengericht als ehrenamtlicher Einzelvormund ausgewählt und gem. § 1789 BGB durch das Familiengericht Frankfurt am Main am 19.04.2016 bestellt (vgl. Bestallungsurkunde des Familiengerichts Frankfurt am Main vom 19.04.2016, Az. 457 F 6195/15 VM, BI. 142 VA). Der Kläger wohnt bei seiner Tante D. A. und seinem Onkel E. F. in der A-Straße, A-Stadt. Die Leistungen werden an den Onkel E. F. überwiesen (BI. 23, 25, 151 VA). Der Kläger besuchte im September 2020 die 8. Klasse in der H-Schule, einer integrierten Gesamtschule mit Grundschule in der C-Straße, A-Stadt (vgl. Antrag auf Kostenübernahme für mehrtägige Klassenfahrt in der 7. Klasse im Mai 2020, BI. 315 VA).

Mit Antrag vom 29.08.2020 beantragte der Vormund für den Kläger die Kostenübernahme für die Anschaffung eines privaten Laptops und der dazugehörigen Hardware für die Teilnahme am Distanzunterricht im Rahmen des Schulbetriebes in der Corona-Pandemie (BI. 328 VA). Er legte einen Kostenvoranschlag in Höhe von 422,02 Euro vor. In dem Kostenvoranschlag sind neben einem Laptop für 249,00 Euro, ein Drucker von 69,00 Euro, Toner von 33,14 Euro, Druckerkabel von 9,99 Euro, Softwarepaket von 33,90 Euro und Headset von 26,99 Euro umfasst (Bl. 330 VA).

Mit Bescheid vom 03.09.2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf für das erste Schulhalbjahr in Höhe von 100 Euro und für das zweite von 50 Euro (Bl. 333 VA).

Mit Bescheid vom 24.09.2020 (BI. 328 VA) lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines Laptops samt Hardware ab und führte zur Begründung aus, der Bedarf für die Anschaffung von Technikgeräten sei im Regelbedarf berücksichtigt und somit aus der „Hilfe zum Lebensunterhalt" zu finanzieren. Auch sei der Schulbedarf - im Hinblick auf nötige technische Anschaffungen - von 100,00 Euro auf 150,00 Euro erhöht worden. Ein Laptop könne daher nicht über § 34 SGB XII finanziert werden (BI. 328 VA).

Gegen den Bescheid vom 24.09.2020 legte der Kläger, vertreten durch seinen Vormund, am 02.10.2020 Widerspruch ein (BI. 340 f. VA). Er trug vor, digitale Endgeräte seien nicht vom Regelbedarf erfasst. Dabei beruft er sich unter anderem auf das Urteil vom 11.08.2020, Az. S 15 AS 456/19 des Sozialgerichts Köln. In der Referenzgruppe der Jugendlichen sehe die Abteilung 10 im Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) lediglich 0,22 Euro monatlich (jährlich 2,64 Euro) vor. Dieser geringe Bedarf rechtfertige sich über die gesondert zu erbringenden Bildungs- und Teilhabeleistungen, welche jedoch nicht digitale Endgeräte enthalte. Im Falle eines atypischen Umfangs, der nicht vom Regelsatz erfasst ist, bestehe ein Anspruch auf Mehrbedarf. Selbst wenn die schulische Bildung in der klassisch analogen Form des Präsenzschulbetriebes fortgeführt werden würde, so verlangten die Herausforderungen des digitalen Wandels nach einer spezifischen digitalen Bildung. Der Bescheid sei daher aufzuheben und die Kostenübernahme für den Laptop inklusive Hardware in Höhe von 422,02 Euro zu bewilligen (vgl. Widerspruch vom 02.10.2020, BI. 344 VA).

Vom 19.01.2021 datiert ein Aktenverm...

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