Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. unangemessene Unterkunftskosten. Angemessenheitsprüfung. Frankfurt/Oder. nicht aktualisierter Mietspiegel kein schlüssiges Konzept. Anwendung der Wohngeldtabelle. Höhe des Sicherheitszuschlages. Zumutbarkeit des Umzugs im Stadtgebiet

 

Orientierungssatz

1. Ein Mietspiegel ist nur dann eine "valide" Grundlage eines schlüssigen Konzepts iS der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wenn aus ihm eine "zuverlässige" bzw eine "belastbare" Aussage über die tatsächlichen Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarktes abzuleiten ist. Ein qualifizierter Mietspiegel aus dem Jahr 2003, der nicht aktualisiert wurde, stellt für den Wohnungsmarkt einer mittelgroßen Stadt mit erheblichem Stadtumbau und Rückbau alter Wohnungen ab Dezember 2007 grundsätzlich keine valide Grundlage für ein schlüssiges Konzept dar. Ebenso bestehen erhebliche Zweifel daran, dass ein gescheiterter Mietspiegelentwurf als valide Grundlage für ein schlüssiges Konzept herangezogen werden kann.

2. Bei der Bemessung der abstrakt angemessen Kosten der Unterkunft und Heizung ist nach dem Wortlaut und Sinn und Zweck des § 22 Abs 1 SGB 2 auf die abstrakt angemessene Bruttokaltmiete einerseits und die abstrakt angemessenen Heizkosten andererseits abzustellen (Anschluss an BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - und - B 14 AS 50/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 42).

3. Fehlt es an einem schlüssigen Konzept des Grundsicherungsträgers kann auf die Werte der Wohngeldtabelle zur Ermittlung der angemessenen Bruttokaltmiete abgestellt werden. Hierbei kann der Sicherheitszuschlag auch weniger als 10 % betragen, wenn keine Zweifel daran bestehen, dass alle Grundsicherungsempfänger im jeweiligen örtlichen Bereich eine zumutbare Unterkunft zu einem geringeren Preis erhalten können (Anschluss an LSG Stuttgart vom 22.6.2010 - L 13 AS 4212/08).

4. Ein möglicherweise irreführender Kostensenkungshinweis des Grundsicherungsträgers kann nur dann zur Pflicht der Übernahme der vollen Kosten der Unterkunft und Heizung führen, wenn dies dafür kausal war, dass der Kläger den Umzug in eine angemessene Wohnung unterlassen hat. Hierbei ist eine wertende Betrachtung dahingehend anzustellen, ob der irreführende Kostensenkungshinweis dazu geführt hat, dass der Leistungsempfänger seine Bemühungen zum Finden einer angemessenen Wohnung wegen dieses Hinweises wesentlich eingeschränkt hat.

5. In einer Stadt mit weniger als 100.000 Einwohner und einer guten Verkehrsinfrastruktur ist einem Grundsicherungsempfänger ein Umzug im gesamten Stadtgebiet zumutbar. Es ist dem Grundsicherungsempfänger darüber hinaus kein zusätzlicher Wohnraum zuzugestehen, damit er sich nicht von seinem Hund trennen muss.

6. Az beim LSG Berlin-Potsdam - L 34 AS 801/11

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 14. November 2007 und des Widerspruchbescheides vom 29. Januar 2008 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Dezember 2007 bis 31. Mai 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich 774,00 Euro unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen zu gewähren.

2. Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 3. November 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2009 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Dezember 2009 bis 31. Mai 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 159,58 Euro unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen zu gewähren.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu ersetzen.

5. Die Berufung wird für beide Beteiligte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Leistungszeiträume Dezember 2007 bis Mai 2008 und Dezember 2009 bis Mai 2010. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger höhere Kosten der Unterkunft zu gewähren.

Der Kläger bezieht seit dem Jahr 2006 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II von der Beklagten. Gemäß dem Mietvertrag, welcher auszugsweise dem Leistungsantrag vom 26. April 2006 beigefügt war, hatte der Kläger für seine 63,22 m² große Wohnung folgende Unterkunftskosten als monatliche Vorauszahlungen an seinen Vermieter zu zahlen:

Grundmiete: 295,90 Euro

Kalte Betriebskosten: 64,65 Euro

Heizkosten: 48,48 Euro

davon für die Erzeugung von Warmwasser: 9,48 Euro

Die Beklagte gewährte dem Kläger zunächst ab dem 1. Juni 2006 Grundsicherungsleistungen unter Anerkennung der vollen Kosten der Unterkunft, abzüglich des monatlichen Abschlages für die Erzeugung von Warmwasser.

Mit seiner Veränderungsmitteilung vom 12. Oktober 2006 teilte der Kläger mit, dass er auf Grund der Betriebskostenabrechnung seines Vermieters für das Jahr 2005 ab dem 1. Januar 2007 folgende Unterkunftskosten zu tragen habe:

Grundmiete: 295,90 Euro

Kalte Betriebskosten: 102,1...

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