Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstellung laufender Rentenzahlungen bei Verschollenheit
Leitsatz (amtlich)
Die Deutsche Rentenversicherung Bund muss die Altersrente eines Verschollenen bis zur Todesfeststellung nach dem Verschollenengesetz weiterzahlen (Anschluss an SG Dortmund vom 24.5.2007 - S 26 R 278/06).
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 38.000,38 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent aus jeweils 1.727,- Euro seit dem 01.01.2009, 01.02.2009, 01.03.2009, 01.04.2009, 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07.2009, 01.08.2009, 01.09.2009, 01.10.2009, 01.11.2009, 01.12.2009, 01.02.2010, 01.03.2010, 01.04.2010, 01.05.2010, 01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010 und 01.11.2010.
Die Verzinsung endet mit dem Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung.
2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Einstellung der Zahlung einer Altersrente wegen Verschollenheit des Klägers. Der am ...1921 geborene Kläger wird seit dem 13.07.2006 vermisst und wurde seit dem 27.08.2008 zunächst von einem Abwesenheitspfleger, seit dem 25.06.2009 von einer Abwesenheitspflegerin vertreten. Diese begehrt für den Kläger die Fortzahlung seiner Altersrente über den 30.11.2008 hinaus.
Der Kläger bezog von der Beklagten seit dem 01.07.1984 eine Rente wegen Alters. Mit Rentenanpassungsbescheid zum 01.07.2008 wurde die monatliche Rente auf netto 1.727,29 Euro (auszuzahlender Betrag) festgesetzt. Mit einem undatierten Schreiben, auf das die Beklagte am 23.10.2008 antwortete, teilte der damalige Abwesenheitspfleger des Klägers der Beklagten mit, dass der Kläger seit dem 13.07.2006 vermisst und von ihm vertreten wird. Die Beklagte stellte darauf die laufenden Rentenzahlungen an den Kläger zum 30.11.2008 ein, wovon sie den damaligen Abwesenheitspfleger mit Schreiben vom 23.10.2008, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, informierte. Auf ihre Anfrage vom 15.01.2009 teilte das Amtsgericht W. als Vormundschaftsgericht des Klägers der Beklagten mit Schreiben vom 29.01.2009 mit, dass ein gerichtliches Verfahren für eine Todeserklärung nicht anhängig ist und keine entsprechende Entscheidung vorliegt.
Die polizeilichen Ermittlungen führten zu keinem eindeutigen Ergebnis. Der Kläger wurde weder lebend noch tot gefunden. Die Ehefrau des Klägers verstarb am 25.07.2007. Der Kläger hat zwei Töchter.
Mit Widerspruch vom 05.06.2009 - eingegangen bei der Beklagten am 08.06.2009 - gegen einen Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 15.05.2009 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers die Weiterzahlung der Rente über den 30.11.2008 hinaus. Dieser Antrag blieb - anders als der Widerspruch im Übrigen - trotz einer Erinnerung vom 03.11.2009 mit Fristsetzung zum 16.11.2009 ohne Erfolg und ist Gegenstand dieser Klage. Darin begehrt die anwaltlich vertretene Abwesenheitspflegerin des Klägers für diesen weiterhin die Auszahlung seiner Rente über den 30.11.2008 hinaus.
Die Klage wird damit begründet, dass für die Einstellung der Rentenzahlung keine Rechtsgrundlage bestehe, solange keine Todeserklärung nach dem Verschollenheitsgesetz erfolgt sei.
Der Kläger beantragt zuletzt, die Beklagte zu verurteilen,
an den Kläger einen Betrag in Höhe von 38.000,38 Euro zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent aus jeweils 1.727,29 seit dem 31.12.2008, 31.01.2009, 28.02.2009, 31.03.2009, 30.04.2009, 31.05.2009, 30.06.2009, 31.07.2009, 31.08.2009, 30.09.2009, 31.10.2009, 30.11.2009, 31.12.2009, 31.01.2010, 28.02.2010, 31.03.2010, 30.04.2010, 31.05.2010, 30.06.2010, 31.07.2010, 31.08.2010, 30.09.2010.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist im Wesentlichen der Ansicht, § 49 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (SGB VI) sei auf Verschollenheitsfälle analog anzuwenden und die Rentenzahlung im Hinblick darauf vorläufig einzustellen, um zu vermeiden, dass Rentenzahlungen erfolgen, die den Berechtigten nicht erreichen. Das Verschollenheitsgesetz (VerschG) bilde keine geeignete Grundlage, dieser Problematik zu begegnen. Die Beklagte beruft sich dabei auf das Urteil des BSG vom 29.07.1976, Az. 4 RJ 5/76.
Mit Bescheid vom 09.03.2010 hat die Beklagte unter Berufung auf § 49 SGB VI den 04.03.2010 als Todestag des Klägers festgestellt. Dieser Bescheid wurde bislang nicht bestandskräftig, weil die Beteiligten das Widerspruchsverfahren ruhend gestellt haben, um den Ausgang der vorliegenden Klage abzuwarten.
Mit Schreiben vom 19.08.2010 hat das Gericht die Beteiligten auf das Urteil des SG Dortmund vom 24.05.2007 (Az. S 26 R 278/06) hingewiesen, in dem die hier Beklagte in einem gleich gelagerten Fall schon einmal unterlag. Nachdem die Beklagte es abgelehnt hat, ein Anerkenntnis abzugeben, haben sich die Beteiligten auf Anfrage des Gerichts übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bereit erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die den Kläger betreffende...