Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Analogleistung. Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. Anwendbarkeit der Übergangsregelung des § 15 AsylbLG. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
Die Übergangsvorschrift § 15 AsylbLG ist verfassungskonform so auszulegen, dass hiervon alle seit dem 21.8.2019 in Kraft getretenen Änderungen des § 2 AsylbLG umfasst werden. Der Anwendungsbereich ist insbesondere nicht auf die Verlängerung der Wartefrist durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (juris: AusrPflDG 2) beschränkt, sondern betrifft auch die Änderungen des Regelsatzsystems durch das Dritte Gesetz zur Änderung des AsylbLG (juris: AsylbLGÄndG 3). Anhaltspunkte für eine andere Auslegung ergeben sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien.
Orientierungssatz
Az beim LSG Stuttgart: L 7 AY 3516/20
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 17.9.2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2019 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin vom 1.10.2019 an bis auf weiteres Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) unter Berücksichtigung eines Bedarfs der Regelbedarfsstufe 1 und nicht lediglich der Regelbedarfsstufe 2 zu gewähren.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe von Asylbewerberleistungen.
Die am ... geborene ledige Klägerin, nach eigenen Angaben eritreische Staatsangehörige, reiste im Oktober 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17.11.2014 einen Asylantrag. Bereits zum 13.11.2014 wurde sie einer Gemeinschaftsunterkunft der Beklagten für Geflüchtete zugewiesen und erhielt von ihr Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), später gemeinsam mit ihrem am 5.1.2016 geborenen Kind. Seit Februar 2016 erhalten die Klägerin und ihr Kind Analogleistungen nach § 2 AsylbLG. Der ebenfalls eritreische Kindesvater gehörte vom 10.8.2016 bis zum 28.1.2019 der Haushaltsgemeinschaft an und bezog ebenfalls Asylbewerberleistungen von der Beklagten. Seither sind die Eheleute getrennt.
Zuletzt vor dem streitgegenständlichen Zeitraum bewilligte die Beklagte der Klägerin und ihrem Kind die Asylbewerberleistungen mit Bescheid vom 12.2.2019 für die Zeit ab 1.2.2019 bis auf weiteres in Höhe von monatlich insgesamt 1096,52 €. Der Berechnung lag der Regelsatz nach Regelbedarfsstufe 1 für die Klägerin in Höhe von monatlich 424,00 € zugrunde. Mit Änderungsbescheiden vom 24.10.2019 bewilligte die Beklagte der Haushaltsgemeinschaft für die Zeit vom 1.2.2019 bis 30.9.2019 Leistungen in Höhe von 1249,16 € und für die Zeit vom 1.10.2019 bis auf weiteres in Höhe von 1207,16 € monatlich. Die Erhöhung der Leistungen beruhte auf der Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende ab 1.2.2019. Das Absinken der Leistungen ab 1.10.2019 ging darauf zurück, dass die Beklagte von Oktober 2019 an für die Klägerin lediglich die Regelbedarfsstufe 2 (382,00 €) als Bedarf berücksichtigte.
Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 16.10.2019 Widerspruch, den sie wie folgt begründete (Schreiben vom 23.10.2019): Sie lebe zwar in der Gemeinschaftsunterkunft auf ihrem Flur mit einem alleinstehenden Mann aus Gambia zusammen und müsse mit ihm die Küche teilen. Sie verstehe sich mit diesem Mann allerdings überhaupt nicht, sie hätten großen Streit miteinander. Grund dafür seien religiöse und kulturelle Unterschiede, aber auch, dass sie als alleinstehende Frau nach schlimmen Fluchterlebnissen überhaupt nicht mit einem alleinstehenden Mann auf dem gleichen Flur zusammenleben könne. Der Sozialdienst habe bei der Wohnheimverwaltung bereits mehrmals um eine räumliche Trennung gebeten. Sie versuche dem Mann so gut es gehe aus dem Weg zu gehen. Ein gemeinsames Einkaufen, Kochen oder Essen oder die gemeinsame Nutzung von Gegenständen mit diesem Mann sei daher für sie unvorstellbar. Von einem gemeinsamen Wirtschaften aus einem Topf, das irgendwelche Ersparnisse mit sich bringe, könne nicht die Rede sein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus: Durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes sei § 2 Abs. 1 AsylbLG zum 1.9.2019 geändert worden. § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG sehe nunmehr vor, dass § 28 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII) in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) und den §§ 28a, 40 des SGB XII auf Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG mit den Maßgaben entsprechend Anwendung finde, dass bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft i.S.v. § 53 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Abs. 1 AsylG für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt werde. Somit sei eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten, die gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches des Sozialges...