Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. soziale Pflegeversicherung. Kostenübernahme für Beschaffung eines Plattformlifts. Abgrenzung. Hilfsmittel / Pflegehilfsmittel / wohnumfeldverbessernde Maßnahme

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einem mit einem Gebäude fest verbundenen Plattformlift, der die selbständige Lebensführung eines Pflegebedürftigen ermöglicht und ohne maßgeblichen Substanzverlust wieder entfernt und an einem anderen Gebäude befestigt werden kann, handelt es sich nicht um ein Hilfsmittel iSd§ 33 Abs 1 SGB V , sondern um ein Pflegehilfsmittel iSd§ 40 Abs 1 SGB XI , das nicht der für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen einschlägigen Zuschussbeschränkung des§ 40 Abs 4 S 2 SGB XI unterfällt.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12.11.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2022 verurteilt, der Klägerin unter Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 14.08.2020 die für die Beschaffung des Plattformlifts aufgewendeten Kosten in Höhe von 10.200,00 Euro zu erstatten.

2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines Plattformlifts.

Die 1961 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet an Multipler Sklerose. Am 06.11.2015 beantragte sie bei der Beklagten unter Vorlage einer vom Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. med. H. am 16.10.2015 ausgestellten Hilfsmittelverordnung und eines Kostenvoranschlages der Firma S. vom 06.11.2015 über 12.185,60 Euro die Übernahme der Kosten für die Versorgung mit einem Plattformlift zur Überwindung der in ihre Wohnung führenden Außentreppe.

Mit Schreiben vom 14.01.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Antrag an die T. Pflegekasse weitergeleitet worden sei. Mit Bescheid vom 06.01.2016 bewilligte die T. Pflegekasse der Klägerin einen Zuschuss für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen („Einbau eines Treppenlifts, Badumbau, Stellplatz“) in Höhe von 1.784,10 Euro. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin erfolgte durch die T. Pflegekasse mit Bescheid vom 27.06.2016 eine Teilabhilfe dahingehend, dass der Zuschuss nunmehr in Höhe von 4.000,00 Euro gewährt wurde. Zwischenzeitlich hatte sich die Klägerin den begehrten Plattformlift im Mai 2016 auf eigene Kosten beschafft (Rechnung vom 13.05.2016 über 10.200,00 Euro, Bl. 26 der Hauptakte).

Den gegen einen Bescheid vom 10.04.2017 über die Ablehnung der Erstattung von Kosten über den gewährten Zuschuss hinaus erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die T. Pflegekasse mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2017 als unbegründet zurück. Das in der Folge beim Sozialgericht Freiburg geführte Klageverfahren ( S 18 P 3846/17 ) führte zur Aufhebung des Bescheides vom 10.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2017 und Verurteilung der Beklagten zur Verbescheidung des Antrages vom 06.11.2015 in eigener Zuständigkeit (rechtskräftiges Urteil vom 04.03.2020).

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 14.08.2020 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme vom 06.11.2015 sodann in eigener Zuständigkeit ab und führte zur Begründung aus, Hilfsmittel, die wie der begehrte Plattformlift wegen individueller Wohnverhältnisse benötigt würden, seien keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch gegenüber der Pflegeversicherung bestehe kein Leistungsanspruch, da der Maximalbetrag der wohnumfeldverbessernden Maßnahmen bereits ausgeschöpft sei. Einen mit Schriftsatz vom 12.10.2020 gestellten Antrag der Klägerin auf Überprüfung des ablehnenden Bescheides lehnte die Beklagte mit angegriffenem Bescheid vom 12.11.2020 ab; den hiergegen mit Schreiben vom 17.12.2020 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2022 als unbegründet zurück.

Mit Schreiben vom 15.06.2022, eingegangen beim Gericht am selben Tag, hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben.

Sie trägt vor, die Versorgung mit dem begehrten Plattformlift sei in ihrem Fall erforderlich zum Behinderungsausgleich gewesen. Aufgrund des geänderten Behinderungsbegriffs im Neunten Buch Sozialgesetzbuch infolge des Bundesteilhabegesetzes hätten die Aspekte der Teilhabe auch im Rahmen des Behinderungsausgleichs nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch erhebliche Bedeutung. Durch die Selbstbeschaffung habe sie der Beklagten zudem erhebliche Aufwendungen erspart, die ansonsten durch Fahrten zu Ärzten und Therapeuten durch Fahrdienste angefallen wären.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.11.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2022 zu verurteilen, ihr unter Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 14.08.2020 die für die Beschaffung des Plattformlifts aufgewendeten Kosten in Höhe von 10.200,00 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie geht von der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung aus. Eine Übernahme der Kosten für den zwis...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?