Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Sozialversicherungspflicht. geringfügige Beschäftigung. Feststellung von Mehrfachbeschäftigung. keine teleologische Reduktion bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Arbeitgebers wegen fehlender versicherungsrechtlicher Aufklärungsarbeit. fehlende Ermächtigungsgrundlage. Geringfügigkeits-Richtlinien. nicht bindende Verwaltungsvorschriften
Leitsatz (amtlich)
Der Gesetzgeber hat in § 8 Abs 2 S 3 SGB 4 den Beginn der Versicherungspflicht eines geringfügig Beschäftigten bei Feststellung von Mehrfachbeschäftigung an den Tag der Bekanntgabe der Feststellung geknüpft. Eine von dem Wortlaut abweichende, teleologisch reduzierende Auslegung der Vorschrift in dem Sinne, dass bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Arbeitgebers rückwirkend Versicherungspflicht mit Beginn des Beschäftigungsverhältnisses festzustellen ist, kommt nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in Betracht.
Orientierungssatz
Den von Spitzenverbänden der Krankenkassen, dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB 4 erlassenen "Geringfügigkeits-Richtlinien" vom 25.2.2003 kommt lediglich der Status von nicht bindenden Verwaltungsvorschriften zu. Als solche bieten sie keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die Einführung eines in § 8 Abs 2 S 3 SGB 4 nicht enthaltenen Ausschlusstatbestandes.
Tenor
1. Der Bescheid vom 19.11.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2006 wird insoweit aufgehoben, als er den Eintritt einer Versicherungspflicht bei Mehrfachbeschäftigung für die Zeit vor dem 22.11.2005 festgestellt hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist das Bestehen einer Versicherungspflicht für einen bei dem Kläger geringfügig Beschäftigten bei Feststellung von Mehrfachbeschäftigung.
Der Kläger, der einen Taxibetrieb führt, stellte Herrn T. zum 01.03.2005 als geringfügig Beschäftigten mit einem durchschnittlichen monatlichen Entgelt von 326,26 € ein. Bereits seit 01.11.2004 hatte Herr T. eine andere Aushilfstätigkeit bei der E.S.P. angenommen, für die er ein durchschnittliches monatliches Entgelt von 172,60 € bezog. Die Aushilfstätigkeit bei der E.S.P nimmt Herr T. nach wie vor wahr. Seine Tätigkeit im Betrieb des Klägers endete dagegen zum 30.11.2005.
Mit Bescheid vom 19.11.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ihre Feststellungen hätten ergeben, dass Herr T. mehrere geringfügig entlohnte Beschäftigungen ausübe, deren Entgelt in der Summe die Grenze von 400,00 € monatlich überschreite. Damit könne die bei dem Kläger ausgeübte Beschäftigung nicht mehr versicherungsfrei sein. Grundsätzlich trete die Versicherungspflicht erst mit dem Tag der Bekanntgabe der Feststellung des Überschreitens der Entgeltgrenze von 400,00 € ein. Dies gelte allerdings nicht, wenn der Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig versäumt habe, den Sachverhalt für die versicherungsrechtliche Beurteilung aufzuklären. Dies sei hier der Fall. Der Kläger habe seinen Arbeitnehmer nicht nach weiteren geringfügigen Beschäftigungen befragt. Er habe Herrn T. folglich mit dem Tag der Einstellung als versicherungspflichtig Beschäftigten anzumelden.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, mit welchem er vorbrachte, Herr T. sei früher bei ihm hauptberuflich beschäftigt gewesen, sei dann in Rente gegangen, und habe ab dem Zeitpunkt nur noch aushilfsweise Taxifahrten übernommen. Von der Bezahlung einer weiteren Tätigkeit habe er selbst nichts gewusst.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Auch für die Aushilfstätigkeit beim Kläger bestehe ab 01.03.2005 noch Versicherungspflicht. Der Arbeitgeber unterliege der Verpflichtung, das Versicherungsverhältnis des Arbeitnehmers zu beurteilen und den zugrunde liegenden Sachverhalt hinsichtlich der versicherungsrechtlichen Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses weiter aufzuklären. Dies habe der Kläger vorliegend grob fahrlässig versäumt. Eine schriftliche Versicherung des Arbeitnehmers, keine weiteren geringfügigen Beschäftigungen auszuüben, habe der Kläger nicht eingeholt. Der angefochtene Bescheid sei demnach nicht zu beanstanden.
Mit seiner am 08.12.2006 beim Sozialgericht Freiburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat vorgetragen, grobe Fahrlässigkeit liege in seinem Fall nicht vor. Dass Herr T. eine weitere Stelle als Hausmeister ausübe, sei für ihn keinesfalls einfach oder einleuchtend erkennbar gewesen. Es hätten sich in seinem Fall keinerlei Anhaltspunkte ergeben, aus denen sich Fragen in diese Richtung aufgedrängt hätten. Die Verpflichtung, einen Arbeitnehmer schriftlich nach weiteren Beschäftigungen zu befragen, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Wenn der Arbeitnehmer seiner Auskunftspflicht nicht nachkomme, verstoße zwar möglicherweise der Arbeitnehmer gegen seine Verpflichtungen, nicht jedoch der Arbeitgeber. Nach alledem sei ih...