Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Unterkunft und Heizung. angemessene Unterkunftskosten. abstrakte Angemessenheit der Bruttokaltmiete. Kürzung der Leistungen wegen unangemessenen Wasserverbrauchs
Leitsatz (amtlich)
Aufgrund des vom Gesetzgeber gewählten Bruttokaltmietenkonzepts ist die abstrakte Angemessenheit der Kosten der Unterkunft einheitlich für die Bruttokaltmiete zu beurteilen. Eine isolierte Kürzung der Leistungen für einzelne Elemente der Bruttokaltmiete (wie zB den Wasserverbrauch) wegen Unangemessenheit ist daher nicht zulässig, solange die Summe aus Grundmiete und kalten Betriebskosten insgesamt abstrakt angemessen ist.
Orientierungssatz
Zum Leitsatz: Vergleiche SG Frankfurt (Oder) vom 5.12.2012 - S 28 AS 3192/10, entgegen SG Freiburg (Breisgau) vom 15.4.2011 - S 6 AS 3782/09.
Tenor
1. Der Bescheid des Beklagten vom 4.6.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 2.7.2018 wird abgeändert.
2. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine weitere Beihilfe in Höhe von 227,63 € für die Nebenkostennachzahlung für das Jahr 2016 zu gewähren.
3. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
4. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Übernahme einer Nebenkostennachzahlung.
Die 1969 geborene alleinstehende Klägerin bezieht seit November 2008 vom Beklagten ergänzend zu einer unbefristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Sie bewohnt eine 77 m² große 3-Zimmer-Wohnung in U, für die sie im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich eine Grundmiete von 440 € und Nebenkostenvorauszahlungen in Höhe von 120 € zu entrichten hatte. Der Beklagte berücksichtigt diese laufenden Kosten der Unterkunft und Heizung trotz von ihm angenommener abstrakter Unangemessenheit, da der Klägerin nach den Feststellungen seines Gesundheitsamts ein Wohnungswechsel aus medizinischen Gründen nicht zuzumuten ist. Bereits mit Bescheiden vom 9.12.2014, 20.10.2015 und 7.11.2016 hatte der Beklagte jedoch anlässlich der Vorlage der jährlichen Nebenkostenabrechnungen den Wasserverbrauch der Klägerin als unangemessen hoch beanstandet. Es seien lediglich 60 m³ pro Jahr angemessen, die Klägerin habe jedoch 65,30 m³ (2013), 95,70 m³ (2014) und 116 m³ (2015) verbraucht. Zuletzt, mit Bescheid vom 7.11.2016, übernahm der Beklagte daher ankündigungsgemäß die Nebenkostennachforderung lediglich anteilig entsprechend dem von ihm für angemessen gehaltenen Wasserverbrauch.
Mit Schreiben vom 7.8.2017, beim Beklagten eingegangen am 9.8.2017, legte die Klägerin die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2016 vor und beantragte die Übernahme der sich hieraus ergebenden Nachzahlung in Höhe von 266,25 €. Der Wasserverbrauch im Jahr 2016 hatte sich danach auf 122,6 m³ belaufen (Warmwasser 47,7 m³, Kaltwasser 74,9 m³). Aus der Abrechnung gingen Wasserkosten von 445,80 € hervor (3,6362 € je m3).
Mit Bescheid vom 4.6.2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin einen Teilbetrag der Betriebskostennachforderung für 2016 in Höhe von 38,62 € und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Durch den unangemessenen Verbrauch seien Mehrkosten in Höhe von 227,63 € entstanden (62,6 m³ unangemessener Verbrauch x 3,6362 €), nach deren Abzug von der Nachforderung der zu bewilligende Restbetrag von 38,62 € verbleibe. Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 15.6.2018 Widerspruch. Sie machte geltend, ihr Verbrauch sei angemessen gewesen. Gegebenenfalls sei sie dahingehend zu beraten, welche konkreten Maßnahmen zur Kostensenkung in Betracht kämen. Mit Widerspruchsbescheid vom 2.7.2018 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur weiteren Begründung führte er aus, bei Überschreitung des nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamts durchschnittlichen Wasserverbrauchs bestehe nach der Rechtsprechung der 6. Kammer des Sozialgerichts Freiburg (Az. S 6 AS 3782/09, ≪juris≫) Anlass zur Annahme, dass der Verbrauch unangemessen hoch sei. In solchen Fällen obliege es dem Hilfesuchenden, konkret vorzubringen, warum sein Wasserverbrauch über dem Grenzwert liege, aber gleichwohl noch als angemessen anzusehen sei. Nach den aktuellsten vorliegenden Erhebungen des statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2013 liege der durchschnittliche jährliche Wasserverbrauch bei 42,34 m³. Die Klägerin habe fast die dreifache Menge verbraucht, ohne nachvollziehbare Gründe hierfür darzulegen. Sie sei auch in der Vergangenheit wiederholt auf die Unangemessenheit ihres Wasserverbrauchs hingewiesen und zu sparsamerem Verbrauch aufgefordert worden. Am 6.7.2018 erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten dagegen Klage zum Sozialgericht Freiburg.
Die Klägerin hat insbesondere vorgebracht, sie sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, trotz Be...