Leitsatz (amtlich)
1. Zur Zeitgeringfügigkeit einer Beschäftigung unter Berücksichtigung eines zuvor im selben Kalenderjahr beendeten Freiwilligendienstes (hier Freiwilliges Soziales Jahr). Eine Zusammenrechnung beider Zeiten findet nicht statt.
2. Die Arbeitshilfe der Minijobzentrale zur Prüfung der Berufsmäßigkeit und die Geringfügigkeitsrichtlinien der Sozialversicherungsträger sind mit § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV zum Teil nicht vereinbar. Sie sind als bloße Verwaltungsvorschriften für die gerichtliche Prüfung nicht bindend.
3. Eine kurzfristige Beschäftigung zwischen einem Freiwilligendienst und einem Hochschulstudium im selben Kalenderjahr ist insbesondere dann nicht berufsmäßig im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV, wenn kein innerer Zusammenhang zwischen der ausgeübten Tätigkeit (hier Kioskverkauf) und dem Studiengang (hier Rechtswissenschaft) besteht.
Tenor
Der Bescheid vom 25.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.04.2021 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 1.307,44 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die bei einer Betriebsprüfung festgestellte Versicherungspflicht der Beigeladenen in allen Zweigen der Sozialversicherung im Zeitraum 01.08.2018 bis 30.09.2018 und eine Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 1.307,44 €.
Der Kläger betreibt einen Kiosk. Vom 01.08.2018 bis 30.09.2018 beschäftigte er die damals 19-jährige Beigeladene gegen ein Entgelt von insgesamt 3.129,36 € für diesen, von vornherein befristeten Zeitraum. Die Beigeladene hatte am 30.06.2017 ihr Abitur abgelegt und im Anschluss vom 04.09.2017 bis 31.07.2018 ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) abgeleistet. Während des FSJ beim D in F erhielt die Beigeladene eine monatliche Aufwandsentschädigung von 200,- € und ein monatliches Taschengeld von 190,- €. In der Zwischenzeit bis zur Aufnahme ihres Studiums zum 01.10.2018 (vgl. Immatrikulationsbescheinigung der Universität H vom 29.08.2018, Verwaltungsakte Bl. 7) übte die Beigeladene für 2 Monate die streitbefangene Beschäftigung aus, für die der Kläger Pauschalbeiträge an die Minijob-Zentrale zahlte.
Am 22.01.2021 führte die Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung zum Prüfzeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2020 durch. Im Rahmen einer Schlussbesprechung hörte die Beklagte den Kläger zu den beabsichtigten Feststellungen mündlich an.
Mit Bescheid vom 25.01.2021 stellte die Beklagte fest, dass die von der Beigeladenen vom 01.08.2018 bis 30.09.2018 ausgeübte Tätigkeit keine kurzfristige Beschäftigung gewesen sei, weil sie berufsmäßig ausgeübt worden sei. Die Tätigkeit unterliege daher der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Die Beklagte stellte eine Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Umlagen in Höhe von 1.307,44 € als Differenz zu den bereits an die Minijobzentrale entrichteten Beiträgen fest. Eine versicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung liege nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV vor, wenn die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate oder 70 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt sei. Eine kurzfristige Beschäftigung liege nicht mehr vor, wenn die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt werde und das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung 450,- € monatlich überschreite. Berufsmäßig werde eine Beschäftigung ausgeübt, wenn sie für die beschäftigte Person nicht von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung sei. Beschäftigungen, die nur gelegentlich ausgeübt würden, seien grundsätzlich von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung und daher als nicht berufsmäßig anzusehen. Wiederholen sich allerdings solche Beschäftigungen, sei Berufsmäßigkeit ohne weitere Prüfung anzunehmen, wenn die Beschäftigungszeiten im Laufe eines Kalenderjahres insgesamt mehr als drei Monate oder 70 Arbeitstage betrügen. Der von der Beigeladenen im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres bis zum 31.07.2018 abgeleistete Dienst sei sozialversicherungsrechtlich ebenso wie freiwillig ausgeübter Wehr- oder Zivildienst als ein Beschäftigungsverhältnis anzusehen. Jugendfreiwilligendienst, Bundesfreiwilligendienst, freiwilliger Wehrdienst und freiwilliger Zivildienst seien sozialversicherungsrechtlich gleich zu behandeln. Alle diese Dienste seien als Hauptbeschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne anzusehen. Das bedeute, dass eine kurzfristige Beschäftigung zwischen dem Ende der Schulausbildung und der Teilnahme an einem Freiwilligendienst als berufsmäßig anzusehen sei, selbst wenn nach dem Dienst ein Studium beabsichtigt sei. Gleiches gelte für kurzfristige Beschäftigungen im Anschluss an ein freiwillig soziales Jahr und vor Beginn des Studiums.
Mit Schreiben vom 25.01.2021 legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung zitierte er aus dem angefochtenen Bescheid und einer ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten „Arbeitshilfe zur Prüfung der Berufsmäßigkeit unter Berücksichtig...