Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Einleitung der Vollstreckung gem § 201 SGG. Voraussetzungen. Rechtsanwaltsgebühr im Vollstreckungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein Versicherungsträger auch mehr als drei Monate nach Rechtskraft eines erstinstanzlichen Verpflichtungsurteils noch keinen Ausführungsbescheid hierzu erlassen, so ist der Begünstigte grundsätzlich berechtigt, die Vollstreckung gem § 201 SGG einzuleiten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn lediglich mathematische (Renten-)Berechnungen durchzuführen sind.

Zur Vorbereitung des Ausführungsbescheides ist auch die Zeit eines Berufungsverfahrens zu nutzen; der Versicherungsträger kann eine verzögerte Erteilung des Ausführungsbescheides nicht damit rechtfertigen, trotz Unterliegens in erster Instanz bis zum Erlass des Berufungsurteils auf eine Klageabweisung vertraut zu haben.

2. Die Vollstreckung gem § 201 SGG setzt nicht die Erteilung einer Vollstreckungsklausel und die Zustellung einer vollstreckbaren Ausfertigung voraus (Anschluss an LSG Stuttgart vom 29.11.1994 - L 13 B 176/94 = Breith 1995, 806ff)

3. Durch die Vertretung eines Rechtsanwalts im Vollstreckungsverfahren gem § 201 SGG entstehen Betragsrahmengebühren, wenn die Vollstreckungsgläubigerin zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört; einer Gegenstandswertfestsetzung bedarf es daher nicht.

 

Tenor

1. Das Vollstreckungsverfahren wird eingestellt.

2. Die Antragsgegnerin hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das mit Schriftsatz vom 5. Juli 2012 beantragte Vollstreckungsverfahren zu erstatten.

3. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung wird abgelehnt.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über die Kostentragungspflicht für ein Vollstreckungsverfahren nach § 201 SGG.

Mit Urteil des SG Fulda vom 28. Januar 2008 - S 8 U 8/06 (jetzt S 4 U 6/08) - wurde die Antragsgegnerin und Beklagte des zugrunde liegenden Klageverfahrens (im Folgenden nur: Antragsgegnerin) verurteilt, verschiedene Gesundheitsschäden als Folge einer bei dem Ehemann und Rechtsvorgänger der Antragstellerin sowie früheren Kläger anerkannten Berufskrankheit anzuerkennen sowie ihn “dafür nach einer MdE in Höhe von 50 v.H. seit November 2003 in gesetzlichem Umfang zu entschädigen„.

Die hiergegen eingelegte Berufung der Antragsgegnerin wies das Hessische Landessozialgericht mit Urteil vom 21. Februar 2012 rechtskräftig zurück. Dieses Urteil wurde der Antragsgegnerin am 8. März 2012 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 12. April 2012 beantragte der Antragstellerbevollmächtigte die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils vom 28. Januar 2008 mit Rechtskraftzeugnis, die ihm am 18. Juni 2012 übersandt wurde.

Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2012, bei dem Sozialgericht Fulda eingegangen am 9. Juli 2012, beantragte die Antragstellerin, der Antragsgegnerin unter Setzung einer angemessenen Frist zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Urteil vom 28. Januar 2008 ein Zwangsgeld anzudrohen und nach vergeblichem Fristablauf festzusetzen.

Nachdem die Antragsgegnerin sodann unter dem 16. Juli 2012 den begehrten Ausführungsbescheid erlassen hatte, nahm die Antragstellerin den Vollstreckungsantrag zurück und beantragt nunmehr,

1. das Vollstreckungsverfahren durch Beschluss einzustellen,

2. der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten des Vollstreckungsverfahrens aufzuerlegen sowie

3. den Gegenstandswert des Vollstreckungsverfahrens festzusetzen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

den Antrag auf Kostenerstattung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, dass eine verzögerte Bearbeitung des Ausführungsbescheides nicht vorgelegen habe. Da sie bis zur Zustellung des Urteils des Hessischen Landessozialgericht vom 21. Februar 2012 davon ausgegangen sei, dass eine rentenberechtigende MdE nicht vorgelegen habe, sei auch die Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes des Rechtsvorgängers der Antragstellerin bis zu diesem Zeitpunkt unterblieben. Sodann sei hierzu eine Anfrage an die DRV Bund erforderlich gewesen, deren Antwort am 18. Juni 2012 eingegangen sei. Erst danach habe der Ausführungsbescheid erlassen werden können.

Hierzu hat die Antragstellerin erwidert, dass ein aus einem Urteil Verpflichteter stets das Verfahrenskostenrisiko trage, wenn er eine prozessuale Situation falsch einschätze. Daher gehe es zu Lasten der Antragsgegnerin, wenn sie die notwendigen Ermittlungen zur Ausführung des Urteils vom 28. Januar 2008 im Hinblick auf einen vermeintlichen Rechtsmittelerfolg unterlassen habe. Zudem sei noch nach Vorliegen der notwendigen Erkenntnisse ein weiterer Monat verstrichen, bevor sie den Ausführungsbescheid erlassen habe.

II.

1. Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Dabei kann hier offen bleiben, ob § 102 Abs. 3 SGG auf Antragsverfahren und insbesondere das Vollstreckungsverfahren gem. § 201 SGG entsprechende Anwendung findet, so dass auf Antrag die Einstellung des Verfahrens auszusprechen und über die Kosten zu entscheiden ist. Da ...

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