Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Wiedereinsetzungsantrag nach § 2 Abs 2 JVEG. keine Zurechnung von Bevollmächtigtenverschulden. systematische Eigenständigkeit des JVEG

 

Leitsatz (amtlich)

Im Rahmen der Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag gem § 2 Abs 2 JVEG ist das Verschulden eines Bevollmächtigten dem Antragsteller nicht zuzurechnen.

 

Orientierungssatz

Das Verfahren zur Vergütung und Entschädigung auch von Zeugen nach dem JVEG stellt sich als selbständiges System dar, was es ausschließt, ergänzend Regelungen des sonstigen Verfahrens- oder Prozessrechts hierfür heranzuziehen.

 

Tenor

Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Geltendmachung seiner Entschädigung für die Teilnahme an der Begutachtung vom 15. Dezember 2016 im Verfahren S 14 SB 145/15 gewährt.

 

Gründe

1. Der Antragsteller ist Kläger im Verfahren S 14 SB 145/15 (zuvor S 6 SB 145/15); in dieser Eigenschaft unterzog er sich am 15. Dezember 2016 einer richterlich angeordneten Begutachtung in M-Stadt. Hierfür entstanden ihm Fahrtkosten, deren Geltendmachung gegenüber der Staatskasse er am 8. März 2017 seinen Bevollmächtigten beauftragte. Dieser unterließ es zunächst - wie er selbst einräumt - versehentlich, die Auslagenerstattung gegenüber dem SG Fulda zu beantragen.

Per E-Mail vom 14. Mai 2017 erinnerte der Antragsteller seinen Bevollmächtigten an die Geltendmachung der Auslagenerstattung, wodurch die unterbliebene Antragstellung offenbar wurde.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15. Mai 2017, der am selben Tag bei dem Sozialgericht Fulda eingegangen ist, beantragt der Antragsteller,

ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 2 Abs. 2 JVEG zu gewähren und ihm die durch die Wahrnehmung der Gutachten-Termine am 15. Dezember 2016 bei Dr. K. und Frau L. in M-Stadt entstandenen Kosten zu erstatten.

Die Vertreterin der Staatskasse hat keinen konkreten Antrag gestellt, vertritt jedoch die Auffassung, dass der Antragsteller sich das Verschulden seines Bevollmächtigten zurechnen lassen müsse. Daher sei die Fristversäumnis in Bezug auf § 2 Abs. 1 JVEG nicht unverschuldet.

2. Zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist die Kammer (durch ihren Vorsitzenden) berufen, nicht der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (anders Hartmann, KostG, 46. Aufl. 2016, § 2 JVEG Rn. 17). Denn gegen eine etwaige ablehnende Entscheidung ist gem. § 2 Abs. 2 S. 4 JVEG die Beschwerde zulässig, die nur gegen Entscheidungen des Richters, nicht des Urkundsbeamten gegeben ist (so auch ThürLSG, Beschl. v. 27. Mai 2015 - L 6 JVEG 329/15 -, juris Rn. 9; ebenso Kammerbeschluss vom 7. Juni 2016 - S 4 SF 17/16 K -, juris Rn. 8; SG Darmstadt, Beschl. v. 15. Juni 2009 - S 10 P 30/05 [unveröff.]; nach Stattgabe/Ablehnung des Antrags differenzierend SG Detmold, Beschl. v. 5. März 2014 - S 2 SF 52/14 E -, juris Rn. 2 ff.; Schneider, JVEG, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 53; Giers, in: Schneider/Volpert/Fölsch [Hrsg.], Gesamtes Kostenrecht, § 2 JVEG Rn. 14).

3. Dem Antragsteller ist Wiedereinsetzung in die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 JVEG zu gewähren.

a) Beteiligte eines sozialgerichtlichen Verfahrens können gemäß § 191 SGG auf Antrag die Erstattung ihrer baren Auslagen verlangen und zwar nach den Regeln, wie sie für Zeugen gelten; dies gilt auch für Reisen zu gerichtlich angeordneten Untersuchungen durch einen Gutachter (s. Leitherer, in: Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 191 Rn. 2 m.w.Nw.). Damit unterliegen die Erstattungsansprüche den Vorschriften des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG).

Gemäß § 2 Abs. 1 JVEG erlischt ein Anspruch auf Entschädigung, wenn er nach entsprechender Belehrung, wie sie hier erfolgt ist, nicht binnen drei Monaten geltend gemacht wird. Für den Fristbeginn hat der Gesetzgeber unterschiedliche Regelungen getroffen in Abhängigkeit davon, ob ein Anspruchsberechtigter als Zeuge oder Sachverständiger herangezogen wird. Im ersteren Fall beginnt die Frist "mit Beendigung der Vernehmung". Übertragen auf den Fall der Auslagenerstattung wegen einer Begutachtung eines Beteiligten beginnt daher die Dreimonatsfrist mit Beendigung der gutachterlichen Untersuchungen, die insoweit der "Vernehmung" eines Zeugen entspricht. Da der Antragsteller am 15. Dezember 2016 durch die Gutachter untersucht worden ist, ist als Fristbeginn der 16. Dezember 2016 anzunehmen, so dass die Auslagenerstattung spätestens mit Ablauf des 15. März 2017 hätte geltend gemacht werden müssen. Der erst am 15. Mai 2017 gestellte Antrag war daher verfristet. Allerdings kommt bei fehlendem Verschulden betreffend die Versäumung der Frist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß ausdrücklicher Anordnung in § 2 Abs. 2 JVEG in Betracht.

Vorliegend ist einerseits kein eigenes Verschulden des Antragstellers ersichtlich; denn er hat noch innerhalb der Dreimonatsfrist, am 8. März 2017, seinen Bevollmächtigten mit der Geltendmachung beauftragt. Dass hier nur noch eine Woche bis zum Ablauf der Frist zur Verfügung stand, begründet ins...

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