Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. keine Rechtsgrundlage für Verlangen des Sozialhilfeträgers. Vermögenseinsatz. Verwertung eines 1/12 Miteigentumsanteils an einem Hausgrundstück. bestandskräftiger Bewilligungsbescheid als Rechtsgrundlage für Rückzahlungsanspruch. sittenwidrige Grundstücksübertragung
Leitsatz (amtlich)
1. Für das durch Bescheid geltend gemachte Verlangen des Sozialhilfeträgers, der Hilfebedürftige möge vorhandenes Vermögen verwerten, ist eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich.
2. Bestandskräftig gewordene Bewilligungsbescheide über darlehensweise gewährte Sozialhilfeleistungen sind zugleich Rechtsgrundlage für den mit Bescheid geltend gemachten Rückzahlungsanspruch.
3. Einzelfall einer Grundstücksübertragung, die wegen Vereitelung des beabsichtigten Zugriffs des Sozialhilfeträgers gegen die guten Sitten verstößt.
Tenor
1. Der Bescheid vom 09.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2007 wird aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Beklagten, von der Klägerin den Verkauf eines Grundstückes zu verlangen bzw. den Wert des Grundstückes zu erstatten.
Die 1969 geborene Klägerin ist geistig wesentlich behindert und ist in der Einrichtung “Die Lebensgemein e.V.„ in Z-Stadt untergebracht. Hierfür erbrachte und erbringt die Beklagte Leistungen der Grundsicherung und der Eingliederungshilfe nach dem BSHG bzw. SGB XII.
Im Oktober 2001 wurde der Beklagten bekannt, dass die Klägerin durch Erbfall im Jahre 1993 Miteigentümerin zu einem Zwölftel eines Hausgrundstückes in A-Stadt, A-Straße mit einer Größe von 1059 m² geworden war. Der Wert wurde vom Bezirksamt Y-Stadt der Beklagten überschlägig auf 715.000 DM geschätzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme vom 26.09.2001 (Bl. 488 f BA) verwiesen. Nach einer späteren telefonischen Auskunft ergab sich für das Grundstück ein Wert von 310.000 €.
Daraufhin gewährte das Bezirksamt X-Stadt der Beklagten mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom 15.08.2002 (Bl. 490 BA), vom 23.10.2003 (Bl. 692 BA) und mit Bescheid vom 09.06.2005 (I, 23 BA) für den Zeitraum vom 15.08.2002 bis zum 31.08.2005 gemäß § 39 Abs. 3 i. V. m. § 40 Abs. 1 BSHG bzw. gemäß §§ 53 Abs. 1 i. V. m. 54 Abs. 2 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe im Hinblick auf das Vermögen der Klägerin als Darlehen gemäß § 89 BSHG bzw. § 91 SGB XII.
Mit Schreiben vom 09.01.2003, welches an die Mutter und Betreuerin der Klägerin gerichtet war und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war und auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 587 BA) heißt es:
“Ich muss Sie daher bitten, den Grundstücksanteil Ihrer Betreuten zu veräußern und den Erlös an das Bezirksamt X-Stadt zu überweisen.
…
Sollte wegen hier nicht bekannten Umständen eine Veräußerung nicht möglich sein, äußern sie sich bitte zum 10.02.2003 unter Angabe der Hinderungsgründe schriftlich bei mir.„
Dagegen legte die Mutter und Betreuerin der Klägerin am 10.02.2003 Widerspruch ein.
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz der damaligen Bevollmächtigten vom 19.02.2003 ausgeführt, dass die Auszahlung eines Erlöses für den Grundstücksanteil der Klägerin nicht so ohne Weiteres geschehen könne. Ein Erlös ergebe sich daraus, dass die Mutter der Klägerin der Klägerin den Grundstücksanteil abkaufe. Hierzu sei ein notarieller Grundstücksübertragungsvertrag und Erbauseinandersetzungsvertrag notwendig. Dieser bedürfe, da er die Verfügung über ein Grundstücksteil umfasse, nach § 1821 BGB der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
Solange diese Genehmigung nicht vorliege, könne ein entsprechender Vertrag nicht wirksam abgeschlossen werden und auch eine Auszahlung nicht erfolgen.
Die Angelegenheit werde deshalb zunächst einmal mit dem zuständigen Vormundschaftsgericht zu klären sein. Nach Vorliegen der dortigen Genehmigung würde die Beklagte über den Sachstand informiert und auf ihr Schreiben vom 09.01.2003 zurückgekommen.
Nachdem die Beklagte unter dem 14.11.2003 nach dem Sachstand nachgefragt hatte, teilte die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 21.11.2003 mit, dass sie bisher in Richtung Vormundschaftsgericht noch nichts unternommen habe, da die Beklagte auf das Schreiben vom 19.02.2003 bisher nicht reagiert habe. Nunmehr werde Kontakt mit dem Vormundschaftsgericht aufgenommen und die Sache dort vorgestellt. Grob gerechnet gehe sie davon aus, dass die Angelegenheit Mitte nächsten Jahres beim Vormundschaftsgericht abgeschlossen sein werde.
Auf eine erneute Anfrage der Beklagten vom 15.09.2004 teilte die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 24.09.2004 mit, dass derzeit mit dem zuständigen Vormundschaftsgericht noch eine Lösung der Angelegenheit gesucht werde. In ein bis zwei Monaten dürfte eine entsprechende Genehmigung des Vormundschaftsgerichts vorliegen. Dann werde unaufgefordert auf die Sache zurückgekomm...