Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. chirurgische Adipositastherapie. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie. sachgerechte Entscheidungshilfe. Geltendmachung im Wege des Kostenerstattungsverfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Die chirurgische Adipositastherapie kommt grundsätzlich nur als ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (vgl zu diesen Voraussetzungen etwa BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 2/08 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 20).
2. In eng begrenzten Einzelfällen kann unter Berücksichtigung der überarbeiteten Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie - Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Adipositas-Therapie "Chirurgie der Adipositas", welche aufgrund ihrer fachlichen Wertigkeit eine für die Beurteilung des Gerichts sachgerechte Entscheidungshilfe darstellt, ausnahmsweise auch primär eine chirurgische Therapie durchgeführt werden (hier bejaht).
3. Zur Geltendmachung im Wege des Kostenerstattungsverfahrens.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2011 verurteilt, der Klägerin die Kosten für den am 07. Mai 2011 durchgeführten adipositaschirurgischen Eingriff in Höhe von insgesamt 7.739,20 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von vier Prozent ab dem Datum des Eingriffes zu erstatten.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Kostenübernahme für einen im Mai 2011 durchgeführten adipositaschirurgischen Eingriff in Höhe von insgesamt 7.739,20 Euro.
Die 1975 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte, Klägerin litt seit vielen Jahren unter massivem Übergewicht. Mit Schreiben vom 21. Januar 2010 stellte die Klägerin durch den behandelnden Viszeralchirurgen Dr. C. bei der Beklagten einen Antrag auf Kostenübernahme für einen adipositaschirurgischen Eingriff. Nach dessen Ausführungen habe das Gewicht der Klägerin mit 20 Jahren ca. 90 Kilogramm, mit 25 Jahren ca. 95 Kilogramm und mit 30 Jahren ca. 110 Kilogramm betragen. Das höchste Gewicht vor der bezeichneten Operation habe 118 Kilogramm betragen, was einem Body Mass Index (BMI) von ca. 42 kg/qm entsprochen habe.
Die Klägerin unternahm in den vergangenen Jahren verschiedene, zeitweise erfolgreiche, Versuche, ihr Gewicht zu reduzieren. Die konservative Adipositastherapie habe bereits nach der Pubertät begonnen. Die Klägerin habe in dieser Zeit bereits öfters durch “FDH„ und auch durch Appetitzügler sowie vermehrte sportliche Betätigung versucht abzunehmen. 2002 habe sie über ein Jahr bei den Weight Watchers mitgearbeitet. 2005 habe sie ein Jahr im Fitnessstudio Herz- und Kreislauftraining durchgeführt. Im Jahr 2008 seien erneut vier Monate bei den Weight Watchers gefolgt. Im gleichen Jahr führte sie zudem eine Mutter-Kind-Kur über drei Wochen durch. Sie habe damals ausführliche Beratung erhalten und sich, soweit möglich, sportlich betätigt. Zwischen den genannten Maßnahmen habe die Klägerin immer wieder selbsttätiges “FDH„ oder zum Beispiel “Brigitte-Diäten„ versucht. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe sie zwei- bis dreimal wöchentlich eine Stunde Nordic Walking durchgeführt, sei einmal wöchentlich eine Stunde Fahrrad gefahren, habe einmal wöchentlich eine Stunde mit Inlinern sowie dreimal wöchentlich über eine Stunde im Fitness-Studio trainiert. Trotz zwischenzeitlicher Erfolge und trotz des Leidensdruckes aufgrund verschiedener Begleiterkrankungen habe das Gewicht durch sämtliche Maßnahmen nicht dauerhaft reduziert werden können.
Den genannten Antrag vom 21. Januar 2010 lehnte die Beklagte nach Auswertung der ärztlichen Einschätzungen und einer Begutachtung nach körperlicher Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) vom 1. März 2010, in welcher die Empfehlung der Ablehnung des gestellten Antrages formuliert wurde (vgl. wegen der Einzelheiten Blatt 8 bis 11 der Verwaltungsakte), durch Bescheid vom 3. März 2010 ab. Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 8. März 2010 Widerspruch ein, welchen der behandelnde Viszeralchirurg Dr. C. durch Schreiben vom 20. April 2010 begründete.
In der Folge wies die Beklagte den Widerspruch nach erneuter Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des MDK vom 16. Juni 2010 nach Aktenlage (vgl. wegen der Einzelheiten Blatt 22 bis 24 der Verwaltungsakte) durch Widerspruchsbescheid vom 23. März 2011 zurück. Wegen der Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen auf Blatt 26 bis 28 der Verwaltungsakte.
Dagegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 1. April 2011, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, Klage zum Sozialgericht Fulda erhoben. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 20. September 2011 mitgeteilt, dass die Operation am 6. Mai 2011 durchgeführt worden ist. In der Folge hat sie mit Schreiben vom 27. September 2011 die Schlussrechnung des ZZ-Krankenhauses in Y. vom 8. Juni 2011 über eine...