Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung
Orientierungssatz
1. Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB 6 ein Versicherter, wenn er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht wenigstens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
2. Die Erwerbsminderung muss voraussichtlich über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten andauern. Dauert sie kürzer, so greifen andere Sicherungsmechanismen, insbesondere die Zahlung von Krankengeld.
3. Bei qualitativen Leistungseinschränkungen besteht kein Rentenanspruch, wenn eine Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten noch gegeben ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der XXXX geborene Kläger ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Nach eigenen Angaben beendete er seine Tätigkeit als Bergmann im Jahre 1992. Mittlerweile wurden bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) i.H.v. 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches G festgestellt (Bescheid vom 31.08.2018).
Aktuell bezieht er Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Am 31.10.2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Daraufhin nahm die Beklagte medizinische Ermittlung zum Gesundheitszustand des Klägers - u.a. durch Einholung von Befundberichten - auf und ließ ihn zur Beurteilung seines Leistungsvermögens durch Dr. P am 18.12.2018 ambulant untersuchen.
Mit Bescheid vom 22.02.2019 lehnte die Beklagte den Rentenantrag insgesamt ab.
Zwar seien vor allem körperliche Minderbelastbarkeit bei chronisch obstruktiver Atemwegserkrankung im Stadium III nach Gold, Lungenüberblähung, langjähriger Nikotinkonsum, Minderbelastbarkeit und Minderbeweglichkeit der LWS (April 2005 Bandscheibenvorfalloperation) sowie ein chronisches Schmerzsyndrom festzustellen, allerdings würden die hiermit verbundenen Einschränkungen nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung führen. Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau komme nicht in Betracht, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Hiergegen erhob der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigte Widerspruch. Zur Begründung verweist der Kläger auf die festgestellten Behinderungen und den Nachteilsausgleich G. Weiter meint er, dass die Auswirkungen der von Dr. P diagnostizierten Erkrankungen nicht ausreichend gewürdigt worden seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2019 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch im Wesentlichen unter Wiederholung der Argumentation aus dem Ablehnungsbescheid zurück.
Ergänzend wurde ausgeführt, dass nach dem Untersuchungsergebnis Einsatzfähigkeit für Tätigkeiten mit leichter körperlicher Beanspruchung mit der Möglichkeit des Wechsels zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ohne Bück-, Hebe- und Tragebeanspruchungen, ohne kurzfristiges Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg, ohne Benutzung von Gerüsten und Leitern und außerhalb von Hitze, Kälte und Nässe sowie inhalativen Stoffen vollschichtig, d. h. über sechs Stunden pro Arbeitsschicht, und zu den üblichen Betriebspausen bestehe.
Mit seiner - am 22.07.2019 erhobenen - Klage verfolgt der Kläger sein Rentenbegehren weiter. Er meint, dass seine Wirbelsäulenbeschwerden und die chronische Atemwegserkrankung die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung rechtfertigen würden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19.08.2021 hat der Kläger die Klage im Hinblick auf die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Bergbau für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2019 zu verurteilen, dem Kläger ab Antragstellung Rente wegen Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf den Inhalt des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheides.
Das Gericht hat Beweis erhoben über den Gesundheitszustand des Klägers durch Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte (insbesondere von Dr. F, welcher in seinem Befundbericht vom 05.11.2019 einen unauffälligen Herz- und Lungenbefund erhob). Weiter ist zur Beurteilung des Leistungsvermögens im Erwerbsleben zunächst ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. I eingeholt worden.
Der Sachverständige Dr. I hat den Kläger am 28.01.2020 untersucht und in seinem Gutachten selben Datums - auf dessen Inhalt Bezug genommen wird - auf orthopädisch-unfallchirurgisch...