Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachweis der arbeitstechnischen Voraussetzungen als Voraussetzung der Anerkennung einer Berufskrankheit

 

Orientierungssatz

1. Die Entschädigung des Versicherten aufgrund einer Berufskrankheit (BK) setzt u. a. den Vollbeweis für das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen voraus. Zur Anerkennung einer BK nach Nr. 1102 bzw. Nr. 1302 BKV muss der Versicherte nachweisen, dass er während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit Quecksilber oder seinen Verbindungen bzw. Halogenwasserstoffen in einem bestimmten Ausmaß ausgesetzt war.

2. Aus dem Bestehen einer Erkrankung kann auf eine bestimmte Intoxikation und damit auf eine relevante Exposition nicht geschlossen werden.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 09.07.2018; Aktenzeichen B 2 U 37/18 B)

BSG (Beschluss vom 27.06.2017; Aktenzeichen B 2 U 27/17 B)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung eines Versicherungsfalles. Der im Jahre 1976 geborene Kläger war im Frühjahr/Sommer 2000 als Diplomand beim N.-Institut für Kohlenforschung N. im Rahmen von Arbeiten zu seiner Diplomarbeit tätig.

Unter dem 05.03.09 erstattete das N. eine Unternehmeranzeige bei Anhaltspunkten für eine Berufskrankheit und führte als Krankheitserscheinungen eine Störung des Immunsystems in Form multipler Allergien auf, asthmatische Erscheinungen nachts, ein stark ausgeprägtes Sicca-Syndrom (Augen, Nase, Mund, Ohren), aphthöse Geschwüre in Mund, Nase, Magen und Genitalbereich, eine Polyneuropathie (insbesondere Hände, Füße und Unterschenkel), Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Bluthochdruck, Sensibilisierung gegenüber polychlorierten Biphenylen (PCB) sowie diverse Unverträglichkeiten auf Waschmittel, Parfüms, Deodorant usw ... Weiter hieß es, der Beginn der Beschwerden werde vom Kläger und seinem behandelnden Facharzt Prof. Dr. N. in zeitlichen Zusammenhang mit der Entsorgung von Chemikalien aus einem Kühlschrank im N. gestellt.

Nachdem die Beklagte zahlreiche Unterlagen über den Kläger zu den Akten genommen hatte, ließ sie ihn durch ihre Präventionsabteilung am 04.09.09 persönlich zu seiner Arbeitsplatzexposition befragen. In einer Stellungnahme vom 11.01.10 meinte Prof. Dr. N. zusammenfassend, dass der Kläger einer extrem großen Anzahl von genotoxischen, immuntoxischen und kanzerogenen Substanzen simultan bei der Entsorgung von mehr als 200 Chemikalien aus einem alten Kühlschrank am N. ausgesetzt gewesen sei, was nach genauer anamnestischer Expositionsabschätzung (starker Geruch nach Pyridin, Piperidin und Toluoi über 12 h bei Entsorgungsarbeiten), insbesondere bei Betrachtung der kumulativen Effekte der mehr als 200 Substanzen, bei weiten die Schwelle für eine akute und als Folge chronische Intoxikation überschreite. Nach der Entsorgungsaktion im Jahr 2000 sei es zu Unwohlsein und später Übelkeit und Erbrechen gekommen. Der Kläger beschreibe in seiner genauen Schilderung des Unfallablaufes die weiteren Symptome mit schmerzhaften Durchfällen, Erbrechen sowie starken Schmerzen in Händen, Füßen und Zähnen sowie einer leicht geröteten, stark juckenden Haut. Nach eingehendem Studium des Falles, jahrelangen Gesprächen und Therapie des Klägers, ausführlichem Literaturstudium und jahrzehntelanger Erfahrung als Gutachter bei Sozialgerichten bei Intoxikationen und Erkrankungen des Immunsystems, spielten seiner Einschätzung nach mehrere Erkrankungskomponenten eine Rolle: 1. Akute Intoxikation bei Entsorgung des Kühlschrankes mit Folge einer direkten irreversiblen Schädigung der Speichel- und Tränendrüsen als Folge einer Schädigung durch u. a. (chlorierte) aromatisch und aliphatische Lösungsmittel, PCB (sowie darin vermutlich enthaltene PCDF, Dioxine), aromatische Amine, diverse Heterozyklen sowie vermutlich Quecksilberorganyle, 2. Ausbildung einer chemikalien-induzierten M. Behcet und Churg-Strauss-Syndrom -analogen Autoimmunerkrankung bei für eine "natürliche" Autoimmunerkrankung atypischem laboranalytischen Konstellationsbild sowie auch untypischen HLA-Konstellation mit jahrelang progressivem Verlauf, 3. Ausbildung progressiver extrem seltener Kontaktallergien auf Baumwolle (oder enthaltene Einzelkomponenten) und Papier (oder einzelne Inhaltsstoffe), Allergien auf Waschmittel, Duftstoffe, Parfüm, Nahrungsmittel in Folge einer chronischen Schädigung des Immunsystems als Folge der akuten Intoxikation.

Die möglichst schnelle Anerkennung der schwerwiegenden Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit halte er für dringend angezeigt. In einer arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 26.04.10 meinte der Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Arbeitsmedizin - Umweltmedizin - Dr. T. von der Präventionsabteilung der Beklagten, dass die arbeitstechnischen Ermittlungen der Beklagten umfassend und vollständig seien. Da die Arbeitsplätze des Klägers im MPI nicht mehr beständen, seien keine weiteren Details über die bereits ermittelten Sachverhalte hinaus feststellbar. Bei der jetzigen...

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