Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung einer Versorgungsehe bei beantragter Witwenrente
Orientierungssatz
1. Eine Witwe hat nach § 65 Abs. 6 SGB 7 keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat. Ist dies nicht der Fall, besteht dennoch ein Anspruch, wenn die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es überwiegender Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
2. Die Widerlegung der Vermutung erfordert nach § 202 S. 1 SGG i. V. m. § 292 ZPO den vollen Beweis des Gegenteils (BSG Urteil vom 28. 6. 2000, B 9 VG 3/99 R).
3. Im Fall der Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist der Ausnahmetatbestand des § 65 Abs. 6 SGB 7 regelmäßig nicht erfüllt.
4. Eine Erkrankung mit der Diagnose eines Mesothelioms kann innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr zum Tod führen.
5. Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat ohne entsprechende Vorbereitung und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin reichen nicht aus, um einen bereits vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung gefassten ernsthaften Heiratsentschluss annehmen zu können.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist (große) Witwenrente gemäß § 65 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII).
Die am 23.01.1967 geborene Klägerin war in zweiter Ehe mit dem 23.03.1959 geborenen und am 03.05.2017 im N-hospital in I verstorbenen L (fortan: Versicherter) verheiratet. Die erste Ehe des Versicherten, aus der zwei Kinder hervorgingen, wurde im Jahr 2003 geschieden. Die erste Ehe der Klägerin, aus der ein Sohn, geboren am 19.03.1988 hervorging, wurde 1987 geschlossen und im August 2003 geschieden.
Nach Angaben der Klägerin waren sie und der Versicherte schon seit mehreren Jahren bekannt, bevor sie circa 2004 ein Paar wurden. Am 29.06.2005 zog die Klägerin mit ihrem Sohn in die Wohnung des Versicherten. Der Sohn der Klägerin zog im Jahr 2014 aus der gemeinsamen Wohnung in ein neues Eigenheim.
Die Klägerin ist bei der M GmbH als E beschäftigt und verdiente laut Einkommenssteuer-bescheid für das Jahr 2015 35.402,00 Euro.
Im September 2016 traten bei dem Versicherten erstmals Atemprobleme beim Wandern auf. Er begab sich daraufhin aufgrund einer vermuteten Erkältung in ärztliche Behandlung bei Dr. H. Am 30.09.2016 fand eine Computertomographie des Thorax des Klägers statt. Der Facharzt für Radiologie K äußerte in seinem Bericht vom selben Tag den Verdacht auf ein Pleuramesotheliom, nachrangig auf eine Pleurakarzinose. Eine weitere Abklärung sei empfehlenswert. Seit dem 24.10.2016 war der Kläger arbeitsunfähig er-krankt. Am 28.10.2016 wurde der Thorax des Klägers geröntgt. Der behandelnde Radiologe Dr. N ging von einem "wahrscheinlichen Pleuramesotheliom rechts" aus (Befundbericht vom 28.10.2016). Vom 30.10. bis 09.11.2016 befand sich der Kläger stationär im Evangelischen Krankenhaus I, wo am 02.11.2016 eine Biopsie der Pleura des Klägers durchgeführt wurde. In der schriftlichen Beurteilung kamen die Histologen zu dem Ergebnis, dass ein hochmaligner epithelialer Tumor passend am ehesten zu einem epithelialen Pleuramesotheliom vorliege. Zur Bestätigung der Diagnose wurde eine immun-histochemische Untersuchung durchgeführt.
Am 04.11.2016 bestellten die Klägerin und der Versicherte das Aufgebot für eine Eheschließung am 07.12.2016.
Im ergänzenden Befundbericht vom 07.11.2016 wurde mitgeteilt, dass es sich in dem entnommenen Gewebe aus der Pleura des Klägers um Anteile eines malignen epitheloiden Pleuramesotheliom handele.
Am 07.12.2016 heirateten die Klägerin und der Versicherte standesamtlich. Seit dem 08.12.2016 führte der Kläger eine Chemotherapie mit anschließender Bestrahlung durch.
Am 02.01.2017 ging bei der Beklagten eine Verdachtsanzeige des Evangelischen Krankenhauses I wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4105 (Mesotheliom - Tumor des Rippenfells durch Asbest) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - ein. Am 17.01.2017 gab in der Wohnung der Klägerin und des Versicherten ein Gespräch zur Einleitung eines Verfahrens auf Feststellung der BK Nr. 4105. Dabei gab der Versicherte an, mit dem Erreichen von Arbeitsfähigkeit sei nach Auskunft der Ärzte nicht mehr z rechnen.
Am 31.03.2017 wurde für die Pflegekasse des Klägers ein Pflegegutachten erstellt, mit dem Pflegegrad 4 seit dem 24.02.2014 festgestellt wurde. Die Pflege werde durch die Klägerin mit einem Umfang von 30 Wochenstunden sichergestellt.
Nach Aufnahme des Versicherten am 24.04.2017 in das N-hospital I und der Einleitung einer palliativen Therapie verstarb der Versicherte am 03.05.2017 an den Folgen des Mesothelioms.
Mit Bescheid vom 10.08.2017 erkannte die Beklagte die Erkrankung des Versicherten als BK Nr. 4105 (Pleuramesotheliom) an. Als Tag des Versicherungsfalls wurde der 30.09.2016 (erster Tag der Beschwerden, die eine Behandlung erforderlich gemacht hätten) festges...