Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung: Anspruch auf Gewährung von Übergangsleistungen bei Tätigkeitsaufgabe zur Verhinderung des Eintritts einer Berufskrankheit. Gewährung von Übergangsleistungen bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber

 

Orientierungssatz

Die Gewährung von Übergangsleistungen bei einer Tätigkeitsaufgabe zur Vermeidung des Eintritts einer Berufskrankheit (hier: obstruktive Atemwegserkrankung bei einem Lackierer) kommt auch bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber in Betracht, wenn jedenfalls ungeachtet der Kündigung aus gesundheitlichen Gründen eine berufliche Umorientierung und ein damit einhergehender Arbeitsplatzwechsel geboten waren.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.02.2001; Aktenzeichen B 2 U 10/00 R)

Hessisches LSG (Urteil vom 17.11.1999; Aktenzeichen L 3 U 767/98)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 27.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.1996 verurteilt, der Klägerin Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 Berufskrankheitenverordnung aufgrund der bei ihr drohenden Gefahr einer Berufskrankheit Nr. 4302 ab 23.06.1993 zu gewähren.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte deren außergerichtlicher Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten nur noch um die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 Berufskrankheitenverordnung (BKVO).

Die 1966 geborene Klägerin war vom 04.08.1983 bis zum 22.06.1993 als Fahrzeuglackiererin beschäftigt und bei der Beklagten gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten versichert. Aufgrund eines Antrags auf Rehabilitation vom 16.08.1993, der vom Arbeitsamt an die Beklagte weitergeleitet und mit einem Attest des Hausarztes Dr. D., A-Stadt, vom 07.07.1993 begründet worden war (Atemwegsbeschwerden, Anraten einer anderen Beschäftigung), leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren wegen einer Berufskrankheit ein. Sie zog bei:

- Angaben der Klägerin,

- Auskünfte der Beschäftigungsunternehmen E. (Auto F.), Firma G.,

- eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 09.02.1994,

- das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse der Klägerin,

- ärztliche Unterlagen von Dres. D./H. sowie Dr. J., J-Stadt,

- ein Gutachten von Dr. K., Berufsgenossenschaftliches Arbeitsmedizinisches Zentrum K Stadt, vom 17.01.1995,

- ein Gutachten von Prof. L., L-Stadt, vom 28.09.1995,

- Stellungnahmen des Landesgewerbearztes vom 11.04.1995 und 19.10.1995.

Mit Bescheid vom 27.11.1995 lehnte die Beklagte insbesondere aufgrund des Gutachtens von Prof. L. die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301, 4302 und 1315 der Anlage 1 der BKVO sowie die Gewährung von § 3 BKVO-Maßnahmen ab.

Der am 18.12.1995 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.1996, zugestellt am 23.07.1996, zurückgewiesen.

Mit der am 22.08.1996 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der Begründung weiter, sie leide nicht an allgemeinen Allergien, sondern habe nur bei ihrer Arbeit als Lackiererin in der Vergangenheit Atembeschwerden gehabt. Seit der endgültigen Aufgabe dieser Tätigkeit zum 22.06.1993 und in ihrem zwischenzeitlich ausgeübten Beruf als Verkäuferin habe sie keine derartigen Beschwerden mehr.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei Prof. M., Universitätsklinik …, vom 02.10.1997, der das Vorliegen einer BK bei der Klägerin verneinte, aber eine konkret drohende Gefahr der Entstehung einer BK nach Nr. 4302 bejahte.

Die Klägerin beantragt nur noch,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.1996 zu verurteilen, ihr Übergangsleistungen gemäß § 3 Abs. 2 Berufskrankheitenverordnung wegen einer bei ihr drohenden Gefahr der Entstehung einer BK nach Nr. 4302 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint das Gutachten von Prof. M. sei nicht schlüssig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Unterlagen im übrigen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.05.1998 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im aufrechterhaltenen Umfang begründet. Die Beklagte hat der Klägerin Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKVO aufgrund der bei der Klägerin drohenden Gefahr einer BK nach Nr. 4302 der Anlage 1 der BKVO zu gewähren.

Die BK Nr. 4302 lautet: "Durch chemisch irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKVO hat der Träger der Unfallversicherung der Versicherten, die die Tätigkeit einstellt, weil die Gefahr für sie nicht zu beseitigen ist, zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Vorliegend gilt die "alte" BKVO fort, weil der Anspruch vor dem 01.01.19...

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