Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente bei Ausübung einer knappschaftlich versicherten Beschäftigung. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag
Orientierungssatz
Die 6. Kammer schließt sich nicht der Auffassung des 4. Senats des BSG im Urteil vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3 - an, wonach Rentner, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen und bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur unterliegen, wenn Sie die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus erhalten.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Ausübung einer knappschaftlich versicherten Beschäftigung zu gewähren ist.
Dem ... 1953 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 06.11.2006 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Ausübung einer knappschaftlich versicherten Beschäftigung ab dem 01.04.2006 auf der Grundlage eines am 22.03.2006 eingetretenen Leistungsfalles bewilligt worden. Zur Berechnung der Rente wies die Beklagte darauf hin, dass in der Rente ein Rentenabschlag (verminderter Zugangsfaktor) enthalten sei. Der Zugangsfaktor betrage 1,0. Er vermindere sich für jeden Kalendermonat nach dem 31.07.2013 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003. Die Verminderung betrage für 36 Kalendermonate 0,108. Somit ergebe sich ein Zugangsfaktor von 0,892. Die persönlichen Entgeltpunkte errechneten sich mit 9,7810. Diese persönlichen Entgeltpunkte wurden der Rentenberechnung zugrunde gelegt. Hiergegen erhob der Kläger am 24.11.2006 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), Urteil des 4. Senats vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R) Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2007 zurückwies. Am 28.03.2007 erhob der Kläger unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Vorverfahren Klage. Er hat sinngemäß beantragt,
den Bescheid vom 06.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2007 abzuändern und ihm unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG vom 16.05.2006 höhere Rente ohne Abschlag zu gewähren und die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides beantragt,
die Klage abzuweisen und die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Zudem haben sie der Zulassung der Sprungrevision unter Übergehung der Berufungsinstanz schriftlich zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben.
Das Gericht konnte über die Klage auch ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, nachdem sich die Beteiligten zuvor übereinstimmend mit einer solchen Möglichkeit einverstanden erklärt hatten.
Sachlich ist die Klage jedoch nicht begründet und war abzuweisen. Die Beklagte gewährt dem Kläger mit Bescheid vom 06.11.2006 zu Recht ab dem 01.04.2006 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Ausübung einer knappschaftlich versicherten Beschäftigung in gesetzlich zustehender Höhe. Sie hat bei der Rentengewährung alle für den Kläger maßgeblichen Versicherungszeiten berücksichtigt. Darüber hinaus hat sie die Vorschrift des § 77 Abs. 2 des VI. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zutreffend ausgelegt und die Rente unter Berücksichtigung eines Rentenabschlags durch einen verminderten Zugangsfaktor festgestellt. Das BSG hat zwar mit seinem Urteil vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R) entschieden, dass Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschläge nur hinnehmen müssen, wenn sie die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen und für Erwerbsminderungsrenten, die vor dem 60. Lebensjahr bezogen werden, keine Abschläge berechnet werden dürfen. Erst in der Zeitspanne vom 60. bis 63. Lebensjahr seien von Erwerbsminderungsrenten Abschläge zu berechnen und zwar sowohl für Rentenneuzugänge wie auch für Bestandsrentner, die bereits vor dem 60. Lebensjahr eine Rente bezogen hätten. Dieser Entscheidung schließt sich die 6. Kammer des Sozialgerichts Gießen nicht an. Sie hält die vom 4. Senat des BSG vorgenommene Auslegung des § 77 Abs. 2 SGB VI nicht für zutreffend. Sie hält demgegenüber an der Auslegung des § 77 SGB VI fest, wie sie bisher in der Kommentierung und von den Rentenversicherungsträgern vertreten worden ist (vgl. Kass. Komm., Sozialversicherungsrecht, 01.09.2006, SGB VI, § 77 Rdnr. 20 ff.; Deutsche Rentenversicherung, SGB VI, 11. Aufl. 06/05, § 77 Nr. 5, 6). Sie geht damit konform mit den Entscheidungen des LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.04.2005, L 1 RA 254/04, Hessisches LSG, Urteil vom 24.08.2007, L 5 R 228/06 und Urteil vom 28.08.2007, L 2 R 342/06, Urteile des Sozialgerichts Aachen vom 09.02.2007, S 8 R 96/06 und vom 20.03.2007, S 13 R 7...