Entscheidungsstichwort (Thema)

Befreiung eines Rechtsanwalts von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung

 

Orientierungssatz

Für die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 6 muss eine kausale Beziehung zwischen der Tätigkeit, für die eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht begehrt wird, und einer Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung nicht vorliegen. Der Zulassung als Rechtsanwalt kommt Tatbestandswirkung zu, mit der Folge, dass der Anwalt von der Rentenversicherungspflicht zu befreien ist, ohne dass es darauf ankommt, ob er tatsächlich die weiteren Merkmale einer anwaltlichen Tätigkeit erfüllt. Damit kommt es für die Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 6 nicht darauf an, ob die konkrete Tätigkeit des Anwalts die für eine berufsspezifische Tätigkeit des Anwalts maßgeblichen Kriterien "Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung" umfasst.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 15.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit bei der C. Versicherungs AG ab 01.04.2011 zu befreien.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten im notwendigen Umfange zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die 1960 geborene Klägerin ist Rechtsanwältin und Mitglied der Rechtsanwaltskammer D-Stadt und seit dem 01.07.2000 auch Mitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Hessen. Sie zahlt dort einkommensbezogene Beiträge. Das Versorgungswerk gewährt seinen Mitgliedern und deren Hinterbliebenen folgende Leistungen: Altersrente, Berufsunfähigkeitsrente, Hinterbliebenenrente, Erstattung und Übertragung von Beiträgen von Beteiligten, Kapitalabfindung. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch (§ 13 Abs. 1 der Satzung).

Die Klägerin ist zudem wieder seit dem 01.04.2011 bei der C. Versicherungs AG (Arbeitgeberin) als Volljuristin beschäftigt. Dort war sie bereits zuvor vom 01.10.1990 bis zum 01.10.2000 im Bereich Haftpflicht-Unfall-Kraftfahrt-Großschaden tätig und durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung rückwirkend zum 01.07.2000 befreit worden. Danach war die Klägerin wegen Kindererziehung vorübergehend in Teilzeit als Rechtsanwältin tätig. Zum 01.04.2011 kehrte sie zur C. Versicherungs AG in die Abteilung Groß- und Spezialschäden zurück. Ausweislich eines Schreibens der Arbeitgeberin vom 13.04.2011 an die Deutsche Rentenversicherung Hessen umfasst der Wirkungs- und Verantwortungsbereich der Klägerin dort die nachfolgenden Tätigkeiten:

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selbständiges Erarbeiten aller in einem Schadensfall relevanten rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen, sowohl auf materiell-rechtlicher als auch prozessualer Grundlage

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Festlegung der Regulierungsposition und selbständiges Anpassen derselben je nach Ablauf der aktiv zu steuernden Schadensbearbeitung. Eigenständige Vertretung dieser Position bei innerbetrieblichen Abstimm- und Entscheidungsprozessen

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Eigenständiges Führen der erforderlichen Kommunikation mit eigener Entscheidungskompetenz im Rahmen vorgegebener Vollmachten mit sämtlichen internen und externen Beteiligten, einschließlich etwaiger persönlicher Verhandlungen mit Geschädigten, Rechtsanwälten, Behörden, Sozialleistungsträgern und anderen Versicherten, auch vor Ort

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Erkennen und Verfolgen von Regressmöglichkeiten

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Betreiben von Prozessen und Entscheidung über Rechtsmittel

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Beobachtung der Gesetzgebung und einschlägiger Literatur aus dem Fachgebiet und angrenzender Bereiche

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mündliche und schriftliche Darstellung abstrakter rechtlich relevanter Fragestellungen aus dem Fachgebiet sowie Erläuterungen von Entscheidungen im Einzelfall an Kollegen im Rahmen von Schulungen, Mitwirkung bei der Einarbeitung von Kollegen und Auszubildenden.

In einem weiteren Schreiben an die Beklagte vom 07.06.2011 erläuterte die Arbeitgeberin das Tätigkeitsfeld der Klägerin dahingehend, der Aufgabenbereich umfasse die selbständige Bearbeitung von Haftpflicht-Großschäden und Spezialschäden aus dem industriellen, gewerblichen und privaten Bereich. Dies seien z. B. Arzthaftungsschäden, Architektenschäden, Produkthaftungsschäden, Vermögensschäden, Arzneimittelschäden und Probandenschäden, die regelmäßig hochkomplexe tatsächliche und juristische Problemstellungen aufwiesen und bis in den - auch mehrere - Millionenbereich gehen könnten. Nach ihren Anforderungen könne für diese Funktion ausschließlich ein/e Volljurist/in zum Einsatz kommen, der/die idealerweise auch als Rechtsanwalt zugelassen sei. Die Klägerin handele bei der Erfüllung ihrer Aufgaben wie eine freie Rechtsanwältin rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd und sei dabei insbesondere auch in der Vert...

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