Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenversicherung. Zahlung von Pflichtbeiträgen bei Insolvenzereignis. Freigabeerklärung seitens des Insolvenzverwalters bzgl des Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners

 

Orientierungssatz

1. Sofern der Insolvenzverwalter in einem Insolvenzverfahren (erstes Insolvenzereignis) das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners freigibt (§ 35 Abs 2 Satz 1 InsO), entsteht dadurch eine neue insolvenzfähige Vermögensmasse.

2. Durch die Freigabeerklärung (§ 35 Abs 2 Satz 1 InsO) erklärt der Insolvenzverwalter, dass er hinsichtlich des freigegebenen Vermögens endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verzichtet.

3. Durch die Freigabeerklärung entstehen demnach zwei voneinander selbständige Vermögensmassen. Da diese Vermögensmassen streng voneinander getrennt sind, unterliegt der Schuldner hinsichtlich des freigegebenen Vermögens keinen Beschränkungen, die aus dem über das restliche Vermögen eröffneten Insolvenzverfahren folgen. Die selbständige Tätigkeit wird daher unabhängig von insolvenzrechtlichen Vorgaben ausgeübt. Eine Sperrwirkung tritt insoweit nicht ein. Insoweit ist es für den Anspruch auf Zahlung von Pflichtbeiträgen bei einem Insolvenzereignis (§ 175 SGB 3) unerheblich ob der Schuldner seine Zahlungsfähigkeit wiedererlangt hatte oder nicht. Ob der Anspruch auf Zahlung von Pflichtbeiträgen besteht ist somit losgelöst von dem ersten Insolvenzereignis zu prüfen.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 08.03.2013 wird abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, auch für den Beigeladenen zu 2 Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach § 175 SGB III i.H.v. 2480,- € zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits sowie die notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Klägerin zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf 2480,- € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine Krankenkasse. Sie begehrt als zuständige Einzugsstelle die Zahlung von Pflichtversicherungsbeiträgen bei Insolvenzereignis nach § 175 SGB III für den Beigeladenen zu 2. Die Beigeladene zu 1 betrieb einen Dachdeckerbetrieb. Am 15.12.2011 wurde über das Vermögen der Beigeladenen zu 1 das Insolvenzverfahren eröffnet; am 04.01.2012 gab der Insolvenzverwalter das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit aus der Insolvenzmasse frei. Aufgrund des ersten Insolvenzereignisses waren für den Beigeladenen zu 2 Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 16.09.2011 bis zum 15.12.2011 von der Beklagten gezahlt worden. Die Beigeladene zu 1 betrieb ihr Geschäft weiter und beschäftigte mehrere Arbeitnehmer, darunter auch den Beigeladenen zu 2.

Am 20.07.2012 stellte die Klägerin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das freigegebene Vermögen der Beigeladenen zu 1. Mit Beschluss vom 19.11.2012 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30.11.2012 eröffnete das Amtsgericht D. unter dem Aktenzeichen 64 IN 172/12 die Insolvenz über das freigegebene Vermögen. Am 11.12.2012 beantragte die Klägerin einen Vorschuss auf den zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag für den Beigeladenen zu 2 und einen weiteren Arbeitnehmer in Höhe von 2.880,00 €, wovon ein Betrag in Höhe von 2.480,00 € auf den Beigeladenen zu 2 entfiel. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.03.2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin einen Vorschuss auf die zu erwartenden Pflichtbeiträge in Höhe von 400,00 € für den weiteren Arbeitnehmer. Hinsichtlich der Pflichtbeiträge für den Beigeladenen zu 2 wies die Beklagte den gestellten Antrag ab, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum 15.12.2011 der zum 04.01.2012 freigegebene Betrieb seine Zahlungsfähigkeit wiedererlangt habe und bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 19.11.2012 eine erneute Zahlungsunfähigkeit eingetreten sei. Ein weiteres Insolvenzereignis i.S.d. § 165 SGB III könne zum 19.11.2012 nicht bejaht werden, weshalb sich kein erneuter Anspruch auf Insolvenzgeld für den Beigeladenen zu 2 ergebe. Für diesen habe die Klägerin bereits Insolvenzgeld aufgrund der Insolvenz vom 15.12.2011 erhalten. Da der zweite Arbeitnehmer erst am 17.07.2012 in Unkenntnis des Insolvenzereignisses bei der Firma angefangen habe, könne für diesen der Gesamtsozialversicherungsbeitrag gezahlt werden.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer mit Schriftsatz vom 09.04.2013 erhobenen Klage, die sie damit begründet hat, bei den Insolvenzereignissen handele es sich um zwei voneinander unabhängige Insolvenzereignisse. Nur für das zweite Insolvenzereignis werde die Zahlung rückständiger Pflichtbeiträge begehrt. Das in dem früheren Insolvenzverfahren freigegeben Vermögen sei streng von dem Vermögen zu trennen, über welches das erste Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Mit der Freigabe nach § 35 Abs. 2 Insolvenzordnung erkläre der Insolvenzverwalter nämlich, dass er hinsichtlich des freigegebenen Vermögens endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verzichte. Dieser strengen...

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