Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenversicherung. Zahlung von Pflichtbeiträgen bei Insolvenzereignis. Freigabeerklärung seitens des Insolvenzverwalters bzgl des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners

 

Orientierungssatz

1. Durch die Freigabe des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs 2 Satz 1 InsO entsteht eine selbständige Vermögensmasse, die mit der Vermögensmasse aus dem Insolvenzverfahren, aus dem die selbständige Tätigkeit freigegeben wurde, nichts mehr zu tun hat. Dies führt dazu, dass es sich hier um zwei völlig getrennte Vermögenmassen und damit um zwei getrennte Insolvenzereignisse handelt (vgl BGH vom 9.6.2011 - IX ZB 175/10).

2. Durch die Freigabeerklärung (§ 35 Abs 2 Satz 1 InsO) erklärt der Insolvenzverwalter, dass er hinsichtlich des freigegebenen Vermögens endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verzichtet.

3. Durch die Freigabeerklärung entstehen demnach zwei voneinander selbständige Vermögensmassen. Da diese Vermögensmassen streng voneinander getrennt sind, unterliegt der Schuldner hinsichtlich des freigegebenen Vermögens keinen Beschränkungen, die aus dem über das restliche Vermögen eröffneten Insolvenzverfahren folgen. Die selbständige Tätigkeit wird daher unabhängig von insolvenzrechtlichen Vorgaben ausgeübt. Eine Sperrwirkung tritt insoweit nicht ein. Insoweit ist es für den Anspruch auf Zahlung von Pflichtbeiträgen bei einem Insolvenzereignis (§ 175 SGB 3) unerheblich ob der Schuldner seine Zahlungsfähigkeit wiedererlangt hatte oder nicht. Ob der Anspruch auf Zahlung von Pflichtbeiträgen besteht ist somit losgelöst von dem ersten Insolvenzereignis zu prüfen.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 07.08.2013 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Klägerin zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 2050,- € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungsbescheides vom 07.08.2013, mit dem die Beklagte die zuvor erfolgte Bewilligung über die Entrichtung von Pflichtbeiträgen für die Beigeladenen zu 2. und 3. aufhob.

Die Klägerin hatte als zuständige Einzugsstelle die Zahlung von Pflichtversicherungsbeiträgen bei Insolvenzereignis nach § 175 SGB III bei der Beklagten für die Beigeladenen zu 2. und 3. beantragt. Die Beigeladenen zu 2. und 3. waren Arbeitnehmer des Beigeladenen zu 1. Der Beigeladene zu 1. betrieb ein Unternehmen im Bereich des Gerüstbaus. Die Beigeladenen zu 2. und 3. waren dort sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Mit Beschluss des Amtsgerichts G. vom 02.08.2010 (Aktenzeichen 8 IN 186/10) wurde über das Vermögen des Beigeladenen zu 1. ein Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Schreiben vom 04.08.2010 hatte die Insolvenzverwalterin die Freigabe der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 Insolvenzordnung erklärt und dies gegenüber dem Amtsgericht G. angezeigt. Der Beigeladene zu 1. betrieb daraufhin sein Unternehmen weiter. Das Beschäftigungsverhältnis mit dem Beigeladenen zu 3. bestand unverändert weiter. Bereits am 09.08.2010 und am 05.10.2010 hatte die Klägerin für den Beigeladenen zu 3. die Zahlung rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeitrages in Höhe von insgesamt 1.079,91 € für den Zeitraum vom 07.06.2010 bis 01.08.2010 beantragt, dem die Beklagte mit Bescheiden vom 09.09.2010 und 13.10.2010 entsprochen hatte. In der Folgezeit kam der Beigeladene zu 1. seinen Zahlungsverpflichtungen unter anderem gegenüber der Klägerin nicht nach, weshalb die Klägerin am 17.03.2011 einen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht G. stellte. Am 15.04.2011 stellte der Beigeladene zu 1. seine Geschäftstätigkeit ein. Dieses Insolvenzverfahren wurde unter dem Aktenzeichen 8 IN 194/11 bei dem Amtsgericht G. geführt; mit Beschluss vom 13.07.2012 wurde der Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen. Am 19.07.2012 beantragte die Klägerin rückständige Pflichtbeiträge nach § 175 SGB III in Höhe von zunächst 1.894,37 € für die Beigeladenen zu 2. und 3. und mit weiterem Antrag vom 17.06.2013 in Höhe von insgesamt 2.406,16 €; für den Beigeladenen zu 2. für den Zeitraum vom 25.10.2010 bis zum 30.11.2010 in Höhe von 606,88 € und für den Beigeladenen zu 3. für den Zeitraum vom 01.12.2010 bis zum 28.02.2011 in Höhe von 1.799,28 €. Maßgebliches Insolvenzereignis laut Antrag war die Abweisung des Insolvenzantrages mangels Masse am 13.07.2012 durch das Amtsgericht G. (Aktenzeichen 8 IN 194/11). Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 08.07.2013 unter Aufhebung des vorherigen Bescheides vom 27.08.2012 2.050,00 € Pflichtbeiträge nach § 175 SGB III abzüglich der bereits im Bescheid vom 27.08.2012 in Höhe von 1.894,37 € bewilligten Pflichtbeiträge und damit einen weiteren Auszahlungsbetrag in Höhe von 155,63 €. In diesem Bescheid wies die Beklagte darauf hin, dass sich für den Beigeladenen zu 3. ein Insolvenzgeldzeitraum vom 18.12.2010 bis zum 17.03.2011 ergebe. ...

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