Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. keine andere Freizügigkeitsberechtigung als selbstständiger Erwerbstätiger mangels ausreichend hoher Einkünfte. keine Sozialhilfeanspruch. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Die selbstständige Tätigkeit eines EU-Ausländers kann kein Freizügigkeitsrecht vermitteln, wenn sie von vornherein nicht geeignet ist, ein Einkommen zu erzielen, das zumindest ansatzweise ausreicht, die Bedarfe der Bedarfsgemeinschaft zu decken, und auch in Zukunft keine wesentlich höheren Gewinne in Aussicht stehen. Dies ist anzunehmen, wenn - wie hier - über einen Zeitraum von zehn Monaten weniger als ein Fünftel des Bedarfs erwirtschaftet wird und ein tragfähiges Konzept für die selbstständige Tätigkeit nicht erkennbar ist.
2. Es ist in einem solchen Fall davon auszugehen, dass die selbstständige Tätigkeit nicht ausgeübt wird, um in absehbarer Zeit bedarfsdeckendes Einkommen zu erzielen, sondern um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Aufenthalt in Deutschland auf unabsehbare Zeit im Wesentlichen durch staatliche Leistungen nach dem SGB II finanziert wird.
3. Ein Anspruch von EU-Ausländern auf eine zwingende Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII nach sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland lässt sich der gesetzlichen Regelung in § 23 Abs 1 S 3 SGB XII nicht entnehmen (entgegen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 43).
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darüber, ob die Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) haben.
Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Nach ihrem Vortrag sind sie im Juni 2014 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Der 1992 geborene Antragsteller zu 1) und die 1993 geborene Antragstellerin zu 2) sind seit dem ... 2014 miteinander verheiratet. Sie haben vier gemeinsame Kinder: die am ... 2011 geborene Antragstellerin zu 3), den am ... 2012 geborenen Antragsteller zu 4), den am ... 2014 geborenen Antragsteller zu 5) und die am ... 2015 geborene Antragstellerin zu 6). Sie bewohnen eine Unterkunft in H ... Mietbeginn war ausweislich des vorliegenden Mietvertrages der 1. September 2015. Für die 66 qm große Vier-Raum-Wohnung fallen Mietkosten in Höhe von 330,00 EUR einschließlich der Vorauszahlungen für Heiz- und Warmwasserkosten in Höhe von 50,00 EUR und für "kalte" Betriebskosten in Höhe von 40,00 EUR, insgesamt 420,00 EUR, an.
Die Antragsteller zu 1) und 2) beantragten erstmals am 4. Dezember 2014 für ihre zu diesem Zeitpunkt fünfköpfige Familie Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsteller zu 1) erklärte unter Heranziehung einer Dolmetscherin, er sei selbstständig tätig und habe seit dem 19. Juli 2014 ein Gewerbe als Schrotthändler angemeldet. Die zu diesem Zeitpunkt schwangere Antragstellerin zu 2) trug unter Heranziehung einer Dolmetscherin vor, sie verfüge weder über Schulbildung, noch über Berufsausbildung, Berufserfahrung oder über Deutschkenntnisse. Sie legten u.a. einen Mietvertrag vom 19. Juni 2014 über eine Drei-Raum-Wohnung in der ...Straße in Halle vor, wonach Kosten für die Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 418,58 EUR monatlich anfielen. Aus dem Bescheid über Kindergeld der Familienkasse S. vom 18. November 2014 ergab sich, dass dem Antragsteller zu 1) Kindergeld für die Antragsteller zu 3) bis 5) in Höhe von insgesamt 558,00 EUR bewilligt wurde. Trotz Aufforderung des Antragsgegners mit Schreiben vom 11. Dezember 2014 zur Vorlage von weiteren Unterlagen und weiterem Schreiben vom 19. Dezember 2014 reichten die Antragsteller keine weiteren Unterlagen ein. Mit Bescheid vom 5. Januar 2015 versagte der Antragsgegner daraufhin die Leistungen.
Am 29. Januar 2015 legte der Antragsteller zu 1) die Gewerbeanmeldung der Stadt H. vom 19. August 2014 vor, in der der 19. Juli 2014 als Beginn der selbstständigen Tätigkeit "Altmetall sammeln" vermerkt ist, sowie die Anlage EKS einschließlich der Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit für den Zeitraum von Juli bis November 2014 vor. Hiernach erzielte er im Juli 0,00 EUR, im August 60,05 EUR, im September 53,38 EUR, im Oktober 0,00 EUR und im November 671,86 EUR. Er legte einen Bareinkauf-Beleg der M. GmbH, W., und eine Kassenquittung der S. GmbH über die Umsätze vor. Für den Zeitraum von Dezember 2014 bis Mai 2015 schätzte der Antragsteller zu 1) seine Betriebseinnahmen in Höhe von monatlich 400,00 EUR bis 550,00 EUR und seine Betriebsausgaben in Höhe von monatlich 100,00 EUR. Er legte weitere Kassenquittungen der S. GmbH für Dezember 2014 in Höhe von 276,00 EUR und für Januar 2015 in Höhe von 185,85 EUR vor. Der Antragsteller gab an, sich anfangs ein Auto von seinem Onkel oder...