Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag
Leitsatz (amtlich)
Auch bei Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres ist eine Minderung des Zugangsfaktors vorzunehmen, die jedoch auf höchstens 36 Kalendermonate, also maximal 10,8 vH, begrenzt ist (Entgegen BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3).
Orientierungssatz
Die mit § 77 Abs 2 S 1 Nr 3 S 2 und S 3 SGB 6 geregelte Absenkung des Zugangsfaktors begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelung verletzt insbesondere nicht Art 14 Abs 1 GG.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Erwerbsminderungsrente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Der am … 1949 geborene Kläger bezog seit Mai 1996 Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau, die unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 berechnet wurde. Ab 01.01.1997 erhielt er Rente wegen Berufsunfähigkeit nach Aufgabe der knappschaftlich versicherten Beschäftigung, ebenfalls unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0. Mit Bescheid vom 09.06.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit Beginn ab 01.10.2004, befristet bis zum 31.08.2006. Dabei ermittelte die Beklagte die persönlichen Entgeltpunkte in der Anlage 6 des Bescheides getrennt für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten und für die knappschaftliche Rentenversicherung. Bei der Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte aus der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten legte die Beklagte einen Zugangsfaktor von 0,892 zugrunde und begründete dies damit, dass sich der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat nach dem 31.01.2009 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003 vermindere. Danach betrage die Verminderung für 36 Kalendermonate 0,108. Angesichts der Summe aller Entgeltpunkte (Ost) von 14,5594 würden daher die persönlichen Entgeltpunkte (Ost) 14,2153 betragen. Aus der knappschaftlichen Rentenversicherung ergäben sich bei Zugrundelegung der Summe aller Entgeltpunkte (Ost) von 25,6813 auch 25,6813 persönliche Entgeltpunkte, da Entgeltpunkte (Ost), die bereits Grundlage einer früheren Rente gewesen seien, den Zugangsfaktor von 1,0 behielten.
Mit Bescheid vom 14.07.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.09.2006 auf Dauer, längstens aber bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres.
Unter dem 11.09.2006 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 09.06.2004 sowie etwaiger Folgebescheide durch die Beklagte und machte geltend, dass bei der Berechnung seiner Erwerbsminderungsrente im Bescheid vom 09.06.2004 Abschläge berücksichtigt worden seien. Dies sei nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 (Az.: B 4 RA 22/05 R) gesetzes- und grundrechtswidrig.
Mit Schreiben vom 19.02.2007 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass die Entscheidung des BSG nicht der Rechtsauffassung der Träger der Deutschen Rentenversicherung entspreche und regte unter Hinweis auf anhängige Musterprozesse an, das Überprüfungsverfahren zunächst ruhen zu lassen. Der Kläger erklärte sich in der Folgezeit mit einem Ruhen des Verfahrens nicht einverstanden.
Mit Bescheid vom 13.04.2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab und begründete dies damit, dass sowohl während des Gesetzgebungsverfahrens als auch bei der Anwendung der Vorschriften im Rahmen von Rentenberechnungen alle Beteiligten davon ausgegangen seien, dass bei sämtlichen Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit einem Rentenbeginn vor dem 63. Lebensjahr des Versicherten Abschläge zu berücksichtigen seien. Die bis zur Entscheidung des BSG mit der Problematik befassten Gerichte seien auch stets von der Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Regelung ausgegangen.
Dagegen legte der Kläger am 24.04.2007 Widerspruch zur Niederschrift ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.06.2007wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Entgegen der Auffassung, die der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16.05.2006 vertreten habe, sei der Zugangsfaktor bei Renten wegen Erwerbsminderung auch bei Rentenbezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) zu vermindern. Die Höhe des Abschlags betrage grundsätzlich 10,8 v. H.. Wortlaut, Sinn und Entstehungsgeschichte der Vorschrift sprächen für die Auslegung der Rentenversicherungsträger und gegen die Auslegung des 4. Senats des BSG. Der Entscheidung des BSG vom 16.05.2006 werde daher nicht gefolgt.
Mit seiner am 15.06.2007 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren fort. Er bezieht sich auf da...