Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermessensgesichtspunkte der Krankenkasse bei deren Zustimmung zum Auslandsaufenthalt des Versicherten - Weitergewährung des Krankengeldes

 

Orientierungssatz

1. Nach §§ 16 Abs. 1, 44 Abs. 1 SGB 5 ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange sich der Versicherte im Ausland aufhält, es sei denn, dies geschieht mit Zustimmung der Krankenkasse, § 44 Abs. 4 SGB 5.

2. Die Erteilung der hierzu erforderlichen Zustimmung steht im Ermessen der Krankenkasse. Nach dem Zweck der Norm steht hierbei im Vordergrund, ob durch den Auslandsaufenthalt die Gefahr einer Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit besteht. Die Entscheidung der Krankenkasse muss die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Verwaltung ausgegangen ist.

3. In das Ermessen darf als Belang der Solidargemeinschaft eigestellt werden, mit welchen Aussichten die Arbeitsunfähigkeit im Inland besser beseitigt werden könnte, ob eine notwendige medizinische Behandlung durch die Reise unterbrochen wird oder die Reise dem Genesungsprozess abträglich ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.06.2019; Aktenzeichen B 3 KR 23/18 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Berufung wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über das Ruhen eines Krankengeldanspruchs während eines Auslandsaufenthaltes nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Der 1986 geborene Kläger ist Gerüstbauer und bei der Beklagten pflichtversichert. Bei ihm wurde durch die Fachärzte für Innere Medizin/Allgemeinmedizin ..., ... und ... am 28.7.2014 eine bis zum 29.7.2014 andauernde Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen sonstiger Rückenschmerzen im Zervikothorakalbereich (M 54.83 G) sowie wegen Gelenkschmerzen im Unterarm (M 25.53 G) festgestellt. Am 1.8.2014 wurde durch die Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr ... und ... eine zunächst bis zum 8.8.2014 andauernde AU wegen eines Zervikobrachial-Syndroms (M53.1 G) und einer Radikulopathie im Lumbalbereich (M 54.16 G) festgestellt, die am 8.8.2014 bis zum 3.9.2014 und am 1.9.2014 bis zum 29.9.2014 verlängert wurde. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 28.8.2014 Krankengeld ab dem 29.7.2014 in Höhe von brutto 43,59 EUR je Kalendertag.

Der Kläger informierte die Beklagte über seinen geplanten Auslandsaufenthalt in ..., ... vom 8. bis zum 12.9.2014. Er gab an, mit dem Auto die Reise antreten zu wollen. Eine Behandlung sei während des Aufenthalts nicht nötig.

Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), ob der Reise aus medizinischen Gründen zugestimmt werden könne. MDK-Gutachter Dr ... schätzte in seiner sozialmedizinischen Fallberatung ein, dass aufgrund der muskuloskelettalen Problematik eine Urlaubsreise mit einer derart langen Autofahrt und den damit verbundenen Zwangshaltungen nicht zu empfehlen sei. Außerdem sei nicht plausibel, dass eine Behandlung in dieser Zeit nicht nötig sei.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 16.9.2014 mit, dass wegen der langen Autofahrt zum Urlaubsort und der damit verbundenen Wirbelsäulenzwangshaltungen der Reise nicht zugestimmt werden könne und der Anspruch auf Krankengeld in der Zeit vom 8. bis zum 12.9.2014 ruhen werde.

Hiergegen legte der Kläger am 24.9.2014 Widerspruch ein. Der Urlaub sei bereits im Februar 2014 gebucht worden. Seine Ärztin habe keine Einwände gegen die Kurzreise. Es seien während der Autofahrt - auch wegen des Hundes - alle 1,5 bis 2 Stunden Pausen eingelegt worden. Er selbst sei nur Beifahrer gewesen. Zweck der gesetzlichen Vorschrift des Ruhens des Krankengeldanspruchs seien die Schwierigkeiten bei der Feststellung der AU sowie eine Missbrauchsgefahr. Beides liege nicht vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.1.2015 zurück. Bei den vorliegenden Diagnosen sei davon auszugehen, dass sich die innerhalb kurzer Zeit erforderlichen langen Autoreisen zum Urlaubsort und zurück nicht gesundheitsfördernd auswirken würden. Die Zwangshaltungen stünden vielmehr einer Besserung der gesundheitlichen Beschwerden entgegen und es bestehe die Gefahr, der Verschlimmerung und damit der Verlängerung der AU.

Der Kläger hat am 10.2.2015 Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben. Die Beklagte habe abweichend von der Vorstellung des Gesetzgebers darauf abgestellt, ob die Autoreise der Gesundheit des Klägers schade. Der Gesetzgeber wolle aber allenfalls einen Missbrauch vermeiden, der nicht vorliege, da die AU ordnungsgemäß bescheinigt wurde.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Bescheid vom 16.9.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.1.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 8. bis zum 12.9.2014 Krankengeld in Höhe von brutto 43,59 EUR zu zahlen,

hilfsweise

den Bescheid vom 16.9.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.1.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Antrag des Klägers erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt ergänze...

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