Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht zur Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente bei Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung - Unbilligkeit

 

Orientierungssatz

1. Grundsicherungsberechtigte sind nach § 12a Abs. 1 S. 1 SGB 2 verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend davon besteht keine Verpflichtung, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, § 12a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB 2.

2. § 1 der Unbilligkeitsverordnung enthält eine allgemeine Regelung zur Unbilligkeit. Danach ist die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente dann unbillig, wenn der Betroffene dadurch lebenslang hilfebedürftig i. S. des Grundsicherungsrechts wird.

 

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 26. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2016 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte zur Hälfte.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufforderung des Beklagten, einen Antrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen.

Die am … 1952 geborene, verheiratete Klägerin bezieht seit dem 1. Januar 2005 zusammen mit ihrem Ehemann von dem Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgängerin Leistungen nach dem SGB II. Seit Beginn des Leistungsbezugs war die Klägerin geringfügig für ca. 161 € monatlich und später für 170 € beschäftigt.

Der Beklagte forderte die Klägerin bereits mit Schreiben vom 27. Oktober 2014 auf, eine aktuelle Rentenauskunft vorzulegen. Die Klägerin reichte daraufhin die Rentenauskunft vom 10. November 2014 zur Akte: Danach erreiche sie die Regelaltersgrenze am 23. Oktober 2017. Die Rente würde dann 660,38 € oder 671 € betragen, je nach der Höhe der eingezahlten Beiträge. Der frühestmögliche Rentenbeginn (mit Abschlägen) sei der 1. Mai 2015.

Bereits mit Bescheid vom 12. Dezember 2014 hat der Beklagte die Klägerin aufgefordert, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Dagegen hat die Klägerin am 20. Januar 2015 Widerspruch erhoben: Sie arbeite in Teilzeit und zahle Renten- und Krankenversicherungsbeiträge. Der Beklagte hat ermittelt, dass seinerzeit keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt worden ist. Mit einem weiteren Bescheid vom 10. März 2015 hat der Beklagte die Klägerin erneut aufgefordert, die vorzeitige Altersrente zu beantragen. Die Klägerin hat auch gegen diesen Bescheid Widerspruch erhoben, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2015 als unbegründet zurückgewiesen hat. Dagegen hat die Klägerin zum Aktenzeichen S 7 AS 1240/15 vor dem Sozialgericht Halle Klage erhoben. In einem parallel geführten Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (S 7 AS 1076/15 ER) hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 22. April 2015 mit Beschluss vom 17. Juli 2015 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 10. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2015 angeordnet. Das Beschwerdeverfahren des Beklagten vor dem Landessozialgericht (L 2 AS 341/15 B ER) war erfolglos (Beschluss vom 17. Juli 2015). Daraufhin hat der Beklagte im Rechtsstreit S 7 AS 1240/15 ein Anerkenntnis abgegeben und den Bescheid vom 10. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2015 zurückgenommen.

Nach weiterer Aufklärung zum Vermögen forderte der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 26. November 2015 erneut auf, bis zum 17. Dezember 2015 einen Rentenantrag zu stellen: Die Klägerin sei verpflichtet, den Rentenantrag zu stellen. Der Rentenbezug am 1. Mai 2016 würde zu einer Minderung in Höhe von 5,4 % bzw. auf 634,77 Euro führen. Nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge verbleibe ein Betrag in Höhe von 569,70 Euro Nettorente. Der derzeitige Anspruch auf Arbeitslosengeld II betrage 497,34 Euro. Im Rahmen der Ermessensausübung seien keine Gründe ersichtlich, nach denen von der Aufforderung zur Rentenantragstellung abzusehen sei. Mit der geminderten Rente könne die Klägerin ihren persönlichen Bedarf decken und die Hilfebedürftigkeit beenden. Die Nettorente wäre höher als der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für die Klägerin. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit stehe nicht bevor. Der Beklagte informierte die Klägerin über die Berechtigung, den Rentenantrag ersatzweise selbst zu stellen. Dieser Bescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, nach der der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift zu erheben ist.

Auf dem der Aufforderung beigefügten Vordruck teilte die Klägerin am 16. Dezember 2015 folgendes mit:

"Frau … stellt keinen Antrag auf vorzeitigen Rentenantrag! Jobcenter … hat keinen Revisionsantrag beim LSG Halle gestellt. Der Beschluss des Sozialgerichts Halle S 7 AS 1076/15 ER ist rechtskräftig!"

In der Anlage befand sich das Schreiben des Beklagten vom 19. August 2015 zum Verfahren S 7 AS 1240/15, mit dem der Beklagte den Bescheid vom 10. März 2015 in Gestalt des Wi...

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