Leitsatz (amtlich)
1. Der Widerspruch gegen einen Bescheid über die Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach §§ 48,50 SGB X hat aufschiebende Wirkung.
2. Bei Nichtbeachtung durch die Behörde ist diese Wirkung festzustellen und die Aufhebung von Vollziehungsmaßnahmen anzuordnen.
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin gemäß Schreiben vom 27. Juli 2005 gegen den Erstattungsbescheid der Antragsgegnerin vom 13. Juli 2005 aufschiebende Wirkung hat.
Die Antragsgegnerin hat sämtliche bereits erfolgten Maßnahmen der Vollziehung aufzuheben.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
Gründe
Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG analog (vgl. hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86b Rdz. 5 und 15 m.N.) sowie Satz 2 hat Erfolg.
Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Erstattungsbescheid der Antragsgegnerin vom 13. Juli 2005 hat gemäß § 86 a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass diese Wirkung angesichts der Nichtbeachtung durch die Antragsgegnerin festzustellen und die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen ist. Die ebenfalls beantragte Erklärung der Vollziehung und Vollstreckung als unzulässig sowie die Anordnung der Einstellung der Vollziehung ergeben sich von selbst als Folge der Feststellung der aufschiebenden Wirkung. Dabei ist im Rahmen dieses Verfahrens nicht über den Antrag gegen die die Forderung beitreibende Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion Nord – zu befinden; insoweit ist ein weiteres Verfahren unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 14 AL 1038/05 ER anhängig.
Die grundsätzlich vom Gesetzgeber vorgesehene aufschiebende Wirkung von Widersprüchen und Anfechtungsklagen im Bereich des Sozialrechts entfällt entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht in Fällen wie dem hier vorliegenden, wo die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II nach §§ 45 oder 48 SGB X zurückgenommen oder aufgehoben worden ist oder wird und nunmehr – ggf. zeitgleich – Rückforderungsansprüche nach § 50 SGB X durch Erstattungsbescheid geltend gemacht werden.
Es liegen insoweit weder die Voraussetzungen des § 86a Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 SGG vor, noch ist eine Anordnung der sofortigen Vollzeihung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 getroffen worden.
Die Ansicht der Antragsgegnerin, dass die aufschiebende Wirkung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 SGB II entfalle, trifft nach Überzeugung des Gerichts nicht zu (ebenso: Conradis in LPK-SGB II § 39 Rz. 7).
Nach § 39 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet oder den Übergang eines Anspruchs bewirkt keine aufschiebende Wirkung. Ein Erstattungsbescheid nach § 50 SGB X entscheidet allein über eine Rückleistung, die von den Leistungen der Grundsicherung ebenso verschieden ist wie ein übergegangener Anspruch. Die Tatsache, dass § 39 SGB II letzteren gesondert aufzählt, erstere hingegen nicht, zeigt ebenfalls, dass Rückforderungen von der Sondervorschrift nicht erfasst sind. § 39 SGB II ist als Ausnahme von der Regel des § 86a Abs. 1 SGG eng auszulegen, was auch der Rechtslage in anderen Bereichen des Sozialrechts entspricht, wo Widersprüchen und Anfechtungsklagen gegen Rückforderungsbescheide aufschiebende Wirkung beigemessen wird (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86a Rdz. 14f.). Dies erscheint schließlich vor dem Hintergrund sachgerecht, dass der betroffene Personenkreis in der Regel nicht über die Mittel zur sofortigen Rückzahlung verfügen bzw. eine solche zu Härten führen dürfte, so dass eine Klärung der Rechtmäßigkeit vor der Vollziehung erfolgen sollte. In besonderen Ausnahmefällen bleibt den Behörden die Anordnung der sofortigen Vollziehung unbenommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen