Entscheidungsstichwort (Thema)

Absenkung des Arbeitslosengeld II. Sanktion wegen wiederholter Pflichtverletzung. Bekanntgabe des ersten Sanktionsbescheides. Rechtsfolgenbelehrung. Zugang. Darlegungs- und Beweislast

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Sanktion gegen einen Leistungsempfänger wegen wiederholter Pflichtverletzung setzt voraus, dass die zweite Pflichtverletzung erfolgte, nachdem der erste Sanktionsbescheid dem Leistungsempfänger bekannt gegeben worden ist.

2. Die Darlegungs- und Beweislast für eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für eine Sanktion trägt der Leistungsträger.

3. Stützt der Leistungsträger eine Sanktion darauf, dass sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige geweigert habe, eine zumutbare Arbeit oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen, ist der Leistungsträger im Streitfall dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass die Aufforderung zur Aufnahme einer Arbeit oder Arbeitsgelegenheit dem Hilfebedürftigen zugegangen ist.

 

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die beiden Sanktionsbescheide vom 1. September 2006 und den Sanktionsbescheid vom 21. September 2006 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Der 1951 geborene, in einer Obdachlosenunterkunft lebende Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche gegen zwei Sanktionsbescheide vom 1. September 2006 und einem vom 21. September 2006. Mit jedem dieser Bescheide hat die Antragsgegnerin das Arbeitslosengeld II für die Zeit von Oktober bis Dezember 2006 monatlich um 30 % abgesenkt (in den Bescheiden heißt es als Erläuterung hierzu gleichlautend: “daraus ergibt sich eine Absenkung in Höhe von maximal 104 Euro monatlich„), hieraus eine Absenkung von insgesamt monatlich 312 Euro errechnet und dem Antragsteller für Oktober 2006 neben der direkt an die Wohnunterkunft gezahlten Unterkunftsgebühr nur noch eine monatliche Regelleistung von 5 Euro ausgezahlt.

Gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ein solcher Fall liegt hier vor; denn die Widersprüche des Antragstellers gegen die Sanktionsbescheide haben gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

Im Rahmen des § 86 b Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach Ermessen aufgrund einer Interessenabwägung. Ausschlaggebend sind dabei insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs. Es gilt der Grundsatz, dass die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers umso geringer sind, je größer die Erfolgsaussichten sind. Ist der Bescheid offensichtlich rechtswidrig, ist seine Vollziehung auszusetzen; denn es gibt kein öffentliches Interesse an einer Fortgeltung eines solchen Verwaltungsaktes (LSG Hamburg vom 9. Juni 2005, Az.: L 5 B 71/05 ER AS). Gleiches gilt in der Regel bereits, wenn an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ernstliche Zweifel bestehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86 b, Rn. 12 c).

Auf dieser Grundlage ist die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die drei Sanktionsbescheide anzuordnen; denn an deren Rechtmäßigkeit bestehen erhebliche Zweifel:

Anlass für die beiden Sanktionsbescheide vom 1. September 2006 war ein am 31. August 2006 bei der Antragsgegnerin geführtes Gespräch zwischen Antragsteller und Arbeitsvermittlerin. Nach einem am selben Tag von der Arbeitsvermittlerin erstellten Vermerk habe sich der Antragsteller in diesem Gespräch strikt geweigert, eine Eingliederungsvereinbarung zu schließen und eine gemeinnützige Tätigkeit aufzunehmen. Einen von der Arbeitsvermittlerin während des Gesprächs ausgedruckten, vom selben Tag datierenden, Vorschlag für eine Arbeitsgelegenheit als Maurer bei der A. u. L. GmbH habe er nicht angenommen und das Zimmer verlassen. Daraufhin erließ die Antragsgegnerin die beiden Sanktionsbescheide vom 1. September 2006. Einen der beiden Bescheide begründete sie unter Hinweis auf § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a SGB II damit, dass sich der Antragsteller am 31. August 2006 geweigert habe, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, den anderen unter Hinweis auf § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. d SGB II damit, dass der Antragsteller eine zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II verweigert habe.

Für den gleichzeitigen Erlass zweier Sanktionsbescheide fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Gemäß § 31 Abs. 3 S. 1 SGB II wird bei wiederholter Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II zusätzlich um jeweils den Vomhundertsatz der nach § 20 maßgebenden Regelleistung gemindert, um den es in der ersten Stufe gemindert wurde. Wie die hier gewählte Vergangenheitsform (gemindert wurde) deutlich macht, kann die zusätzliche Minderung erst erfolgen, wenn es zuvor eine Minderung der ersten Stufe (§ 31 Abs. 1 oder 2 SGB II) gegeben hat. Dies ist erst der Fall, wenn der erst...

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