Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Rechtmäßigkeit einer Fachanweisung des Leistungsträgers, wonach ein erheblicher Teilbetrag der Erstausstattung bei Geburt (§ 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Var. 3 SGB II) erst nach dem Zeitpunkt der Geburt auszuzahlen ist

 

Tenor

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig eine Erstausstattung bei Geburt in Höhe von 250 € auszuzahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Der Antragsgegner hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

 

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und hat überwiegend Erfolg.

Das Begehren richtet sich nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung, da die Antragstellerin eine Erweiterung ihrer Rechtsposition anstrebt. Dieser ist zulässig und überwiegend begründet.

I.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch voraus, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen, wobei als Beweismittel auch eine eidesstattliche Versicherung (§ 294 Abs. 1 ZPO) möglich ist. Hinsichtlich des Beweismaßstabes genügt also die überwiegende Wahrscheinlichkeit (§ 23 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)), verbleibende Zweifel sind unschädlich (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 27 ff.; Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 86b Rn. 415).

Dies zugrunde gelegt ergibt sich der Anordnungsgrund bereits aus dem existenzsichernden Charakter der beantragten Leistungen sowie aus der unmittelbar bevorstehenden Geburt. Die Antragstellerin befindet sich in der 37. Schwangerschaftswoche (vgl. hierzu LSG Bayern (11. Senat), Beschluss vom 22.11.2017 - L 11 AS 748/17 B ER). Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens ist der Antragstellerin vor diesem Hintergrund nicht zuzumuten. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin - nach dem Vortrag des Antragsgegners - die ihr zugeflossenen 200 € bislang nicht dafür eingesetzt habe, die nach der Geburt benötigte Ausstattung anzuschaffen. Die Bewilligung in Höhe von 200 € erfolgte auf einen Antrag auf Erstausstattung mit Schwangerschaftsklamotten. Entsprechend war die Bewilligung dem Inhalt des Bescheides vom 15.2.2022 nach auch auf die Erstausstattung bei Schwangerschaft gerichtet. Aus dem unterlassenen Einsatz der 200 € für die Erstausstattung bei Geburt ist daher nicht zu schlussfolgern, dass die Antragstellerin andere Möglichkeiten hätte, den Bedarf bezogen auf die Erstausstattung bei Geburt zu decken. Es liegt viel mehr nahe, dass die Antragstellerin die bewilligten 200 € entsprechend ihres Antrages für den auf sie bezogenen Erstausstattungsbedarf bei Schwangerschaft eingesetzt hat.

II.

Ferner hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch hinsichtlich der Gewährung einer Erstausstattung für Bekleidung glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin befindet sich im laufenden Leistungsbezug und erfüllt die sich aus §§ 7,9 SGB II ergebenden Anspruchsvoraussetzungen.

Ein Sonderbedarf für die Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 Var. 2 und Var. 3 SGB II ist nach dem Erkenntnisstand des gerichtlichen Eilverfahrens überwiegend wahrscheinlich. Leistungen für Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt sind danach nicht von der Regelleistung umfasst und werden gesondert erbracht. Mit § 24 Abs. 3 SGB II hat der Gesetzgeber normiert, dass trotz der grundsätzlichen Abgeltung auch einmaliger Bedarfe durch die Regelleistung bestimmte Bedarfe weiterhin gesondert gedeckt werden können. Es handelt sich dabei um spezielle Bedarfe, die erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweichen. § 24 Abs. 3 SGB II ist bedarfsbezogen zu verstehen.

Zu unterscheiden ist im Zusammenhang mit der Erstausstattung bei Schwangerschaft und bei Geburt zwischen der auf die Schwangere bezogene Erstausstattung insbesondere mit Kleidungsstücken, die aufgrund der mit der Schwangerschaft einhergehenden körperlichen Veränderungen benötigt werden, sowie der Erstausstattung bezogen auf das Neugeborene für die Zeit in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt.

Die auf das Neugeborene bezogene Erstausstattung umfasst eine komplette Babyerstausstattung als einmalige Leistung. Hierzu gehören unter anderem ein Kinderwagen, Babywäsche, ggf. ein Auto-Kindersitz, Kinderbett, Bettwäsche, Babyschlafsack, Wickelauflage, Fl...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge