Leitsatz (amtlich)
1. Von einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein Anteil in Höhe der Mindestgrundrente nach § 31 BVG bzw. eines Bruchteils davon entsprechend der Regelung in § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst a SGB VI nicht als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II zu berücksichtigen.
2. Im Streit um Grundsicherungsleistungen ist ein Anordnungsgrund zumindest dann zu bejahen, wenn die gesetzliche Höhe nicht unerheblich wird und/oder als Ergebnis eines Hauptsacheverfahrens ggf. eine hohe Nachzahlung zu erwarten ist.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zukünftig – vorläufig bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 18. Januar 2006 und längstens bis zum 30. Juni 2006 – Arbeitslosengeld II zu gewähren, ohne von der ihm aus der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlten Verletztenrente einen Betrag in Höhe von zwei Dritteln der Mindestgrundrente nach § 31 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) als Einkommen zu berücksichtigen. Im Übrigen wird der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
Der durch dessen Bevollmächtigte schriftsätzlich gestellte Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm „Leistungen” nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) „in gesetzlicher Höhe zu zahlen”, ist in Würdigung der ursprünglichen Antragsbegründung durch die Bevollmächtigte, aber auch der späteren Schriftsätze des Antragstellers selbst einschließlich des Überprüfungsantrags vom 15. Dezember 2005 und der Widerspruchsbegründung vom 20. Januar 2005 nach dessen Ablehnung dahingehend zu verstehen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, ihm vorläufig insoweit höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) zu gewähren, als die aus der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlte Verletztenrente (insgesamt) nicht als Einkommen angerechnet werden soll. Schließlich wird (wohl) ein ernährungsbedingter Mehrbedarf geltend gemacht.
Der so verstandene Antrag hat lediglich im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sogenannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).
Maßgeblich für die Beurteilung insbesondere des Anordnungsgrundes ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz. Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung in Fällen der vorliegenden Art ist es, dem Betroffenen lediglich diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller, d.h. gegenwärtig – noch – bestehender Notlagen notwendig sind. Regelungen über die einstweilige Bewilligung laufender Geldleistungen können daher grundsätzlich nur für die Gegenwart und die Zukunft, nicht aber für zurückliegende Zeiträume getroffen werden, weil in der Regel davon auszugehen ist, dass in der Vergangenheit liegende Notsituationen von dem Betroffenen bereits bewältigt worden sind (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 7. Juli 2005 – L 5 B 116/05 ER AS –, SAR 2005, 86; OVG Hamburg, Beschluss vom 4. April 1990 – Bs IV 8/90 –, NVwZ 1990, 975 m.w.N.; ebenso Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, RdNr. 259 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen hier hinsichtlich der begehrten Nichtberücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen insoweit sowohl ein Anordnungsanspruch (dazu unter 1.) als auch ein Anordnungsgrund vor (dazu unter 2.), als ein Betrag in Höhe von zwei Dritteln der Mindestgrundrente nach § 31 BVG angerechnet wird. Im übrigen fehlt es bereits am Anordnungsanspruch. Hinsichtlich des (wohl) begehrten ernährungsbedingten Mehrbedarfs fehlt es – zumindest bislang – an der Glaubhaftmachung anspruchsbegründender Tatsachen; außerdem dürfte kein Rechtsschutzbedürfnis bestehen, weil der Antragsteller sich insoweit anscheinend noch nicht an die Antragsgegnerin gewandt hat.
1. Die Antragsgegnerin hat zu Unrecht die dem Antragsteller in Höhe von knapp 320 Euro gezahlte Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. als dem Grunde nach – d.h. vor Absetzung der Freibeträge nach § 11 Abs. 2 SGB II/ § 3 Arbeitsloseng...