Entscheidungsstichwort (Thema)
Neufeststellung des Grades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht bei einer Krebserkrankung nach Ablauf der Heilungsbewährung
Orientierungssatz
1. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist nach § 48 SGB 10 mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dies gilt u. a. im Fall einer Heilungsbewährung im Schwerbehindertenrecht hinsichtlich der Bewertung des Grades der Behinderung.
2. Der Zeitraum der Heilungsbewährung insbesondere bei bösartigen Geschwulstkrankheiten beträgt fünf Jahre. Maßgeblich für die Neufeststellung des GdB ist der Zustand nach Ablauf der Heilungsbewährung.
3. Ist es während des maßgeblichen Fünfjahreszeitraumes weder zu einer Ausbildung von Rezidiven noch von Metastasen gekommen, so ist eine Verlängerung dieses Zeitraumes ausgeschlossen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des bei ihm anerkannten Grades der Behinderung (GdB) von 80 auf 50.
Nachdem bei dem 1933 geborenen Kläger die Diagnose eines Blasentumors gestellt worden war, stellte dieser einen Erstantrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG). Mit Bescheid vom 31.10.1990 stellte die Beklagte einen Gesamt-GdB von 70 fest und berücksichtigte für das Nierensteinleiden, die chronische Vorsteherdrüsenvergrößerung und das chronische Harnblasenleiden einen Teil GdB von 60, für die Zuckerstoffwechselstörung einen Teil GdB von 30 und für den Bluthochdruck und das chronische Darmleiden jeweils einen Teil GdB von 10.
In den Jahren 1996, 2008 und 2010 kam es zu Rezidiven des Blasenkrebses.
Nach einem Glatteisunfall des Klägers im Jahre 2010 stellte die Beklagte mit Neufeststellungsbescheid vom 12.12.2012 bei dem Kläger einen Gesamt-GdB von 80 ab 1.1.2010 fest. Führendes Leiden war dabei die Gewebeneubildung der Harnblase in Heilungsbewährung mit einem Teil GdB von 60. Außerdem wurde für den Diabetes mellitus ein Teil GdB von 50 sowie für den Bluthochdruck, das chronische Darmleiden und für den Hüftgelenksersatz rechts jeweils ein Teil GdB von 10 festgestellt. Im Bescheid wies die Beklagte darauf hin, dass für die Gewebeneubildung der Harnblase in Heilungsbewährung im Juli 2015 eine Nachprüfung vorgesehen sei. Im Stadium der Heilungsbewährung würde bei Erkrankungen, die zu Rückfällen neigen, bei der Bemessung des GdB für einen begrenzten Zeitraum nicht nur die objektiven Funktionsstörungen und Leistungsbeeinträchtigungen, sondern auch die besonderen Belastungen berücksichtigt. Nach Ablauf der Heilungsbewährung werde der GdB überprüft und entsprechend der dann vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen festgesetzt.
Dementsprechend leitete die Beklagte im September des Jahres 2015 von Amts wegen ein Überprüfungsverfahren ein und holte Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte ein. Der Urologe Dr. K. berichtete am 20.7.2015, dass kein Rezidiv des Blasentumors aufgetreten sei. Die Mitomycin - Blaseninstillation werde aktuell alle zwei Monate durchgeführt. Es bestünden keine Beschwerden. Mit Schreiben vom 30.9.2015 hörte die Beklagte den Kläger zu der geplanten Neufeststellung ihres Bescheides mit einem Gesamt-GdB von 50 an. Ausschlaggebend für den GdB von 80 sei insbesondere das Auftreten einer Tumorerkrankung der Harnblase gewesen. Da damals auch die Rückfallneigung und die damit verbundenen Ängste, die Ungewissheit über die Wiederherstellung der Belastbarkeit und die Anpassungsschwierigkeiten durch die Umstellung der Lebensführung mitbewertet worden seien, sei bei dem Kläger zunächst ein GdB höher als allein nach den objektiv vorliegenden Funktionseinschränkungen festgestellt worden. Aus den aktuellen medizinischen Unterlagen von Herrn Dr. K. gehe hervor, dass in den letzten Jahren seit der Erkrankung keine Rückfälle aufgetreten seien und sich der Gesundheitszustand insoweit stabilisiert habe. Die unmittelbar nach der Erkrankung für die Dauer der Heilungsbewährung grundsätzlich bewerteten Umstände beeinflussten den GdB nicht mehr. Der Kläger machte demgegenüber mit Schreiben vom 26.10.2015 geltend, dass seiner Auffassung nach kein stabiler Gesundheitszustand vorliege, solange regelmäßig therapiert werden müsse, um einen erneuten Ausbruch zu verhindern. Wie die Vergangenheit gezeigt habe, bestehe unverändert ein hohes Risiko der Bildung von Rezidiven, sodass alle zwei Monate Spülungen mit Mitomycin stattfänden, die körperlich und mental sehr belastend seien. Die Sorge der Neubildung von Krebszellen sei dadurch nicht genommen. Am 4.11.2015 erließ die Beklagte einen Neufeststellungsbescheid, mit dem sie die im Bescheid vom 12.12.2012 getroffenen Feststellungen mit Wirkung ab 11.11.2015 änderte und den Gesamt-GdB mit 50 neu feststellte. Zur Begründung verwies sie auf die eingetretene Veränderung des Gesundheitszustands aufgrund des erfolgreichen Ablaufs der Heilungsbewährung. Dagegen legte ...