Leitsatz (amtlich)
1. Das Gericht kann gemäß § 130 Abs. 2 SGG durch Zwischenurteil über eine Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn von ihrer Beantwortung abhängt, ob aufwändige, ggf. historische Sachverhaltsermittlungen erforderlich sind oder die Klage ohne weitere Sachaufklärung abzuweisen ist.
2. Der Beginn der Regelaltersrente vor dem 1. Juli 1997 steht der Neufeststellung der Rente unter Anrechnung von Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (GhettoG) nicht entgegen.
Tenor
1. Der Beginn der Regelaltersrente vor den 1. Juli 1997 steht der Neufeststellung der Rente unter Anrechnung von Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungsverhältnissen in einem Ghetto nicht entgegen.
2. Die Sprungrevision wird zugelassen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die rentensteigernde Anrechnung einer Ghetto-Beitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die Klägerin wurde 1924 im L. in Polen geboren. Zu Beginn des Krieges lebte sie in Wilna (Wilno, Vilnius; vor dem Krieg Polen, dann UdSSR, heute – wieder – Litauen). Nach der deutschen Besetzung gehörte Wilna ab August 1941 zum sog. „Reichskommissariat Ostland”. Dem deutschen Sprach- und Kulturkreis gehörte die Klägerin nicht an.
Als Jüdin wurde die Klägerin Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Ab September 1941 musste sie in dem in Wilna errichteten Ghetto leben. Im September 1943 wurde sie in ein Zwangsarbeitslager deportiert. Nach der Befreiung lebte die Klägerin in Lagern für Displaced Persons (verschleppte Personen) in Deutschland. Am … 1946 brachte sie in S. (H.) ihre Tochter Z. zur Welt. Im November 1947 wanderte sie über Bremen in die USA aus und besitzt seit 1953 die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. In den USA legte sie eine Gesamtversicherungszeit von 54 Quartalen zurück.
Auf ihren Antrag vom 22. April 1993 gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 2. März 1994 rückwirkend ab dem 1. April 1993 Regelaltersrente. Der Rente lag eine Pflichtbeitragszeit wegen Kindererziehung vom 1. Januar 1947 bis zum 30. November 1947 sowie eine Ersatzzeit wegen nationalsozialistischer Verfolgung vom 6. September 1941 bis zum 6. Juli 1944 zugrunde; außerdem wurden in den USA zurückgelegte Versicherungszeiten nach dem deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen auf die Wartezeit angerechnet. Mit Bescheid vom 18. Dezember 1995 stellte die Beklagte die Altersrente unter Berücksichtigung eines erhöhten Zugangsfaktors neu fest. Ab Februar 1996 betrug die monatliche Rente 36,82 DM.
Am 4. Oktober 2001 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Rentenbescheides. Sie habe Anspruch darauf, dass die gesamte Zeit der Verfolgung von Herbst 1939 bis Frühjahr 1945 als Beitrags-, mindestens als Ersatzzeit angerechnet werde. Darüber hinaus sei der Zeitraum ab der Befreiung bis zum Jahresende 1949 als Ersatzzeit zu berücksichtigen. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 9. April 2002 die Altersrente nochmals neu fest. Sie rechnete jetzt eine Kindererziehungszeit bis zum 31. Dezember 1947 an und berücksichtigte eine zusätzliche Ersatzzeit wegen nationalsozialistischer Verfolgung vom 7. Juli 1944 bis zum 31. Dezember 1949. Die von der Beklagten gezahlte Monatsrente betrug ab Juni 2002 nunmehr 39,09 EUR. Mit ihrem am 3. Mai 2002 erhobenen Widerspruch erstrebte die Klägerin die Anrechnung einer im Ghetto zurückgelegten Beitragszeit. Zur Begründung verwies sie auf das damals kurz vor der Verabschiedung stehende ZRBG.
Mit Bescheid vom 28. November 2002 lehnte die Beklagte die Neufeststellung der Rente nach dem zwischenzeitlich geltenden ZRBG ab. Zur Begründung legte sie dar, dass die Klägerin bereits vor dem rückwirkenden In-Kraft-Treten des ZRBG am 1. Juli 1997 eine Altersrente bezogen habe. Das In-Kraft-Treten des ZRBG allein sei kein Grund für eine Neufeststellung der Rente. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung stützte sie sich auf § 306 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Mit ihrer am 11. März 2003 erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiter die Anrechnung von Zeiten einer Beschäftigung im Ghetto Wilna. Sie ist der Auffassung, dass § 306 SGB VI der Neuberechnung der Altersrente unter Berücksichtigung des ZRBG nicht entgegenstehe. In vergleichbaren Fällen habe die Beklagte Ghetto-Beitragszeiten nach dem ZRBG angerechnet. Wenn dies im vorliegenden Fall unter Hinweis auf den vor dem 1. Juli 1997 liegenden Rentenbeginn nicht erfolge, verstoße dieses gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung gleicher Tatbestände.
Die Klägerin beantragt nach Lage der Akten,
den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2003 aufzuheben, den Bescheid vom 9. April 2002 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung einer Ghetto-Beitragszeit nach dem ZRBG vom 6. September 1941 bis zum 30...