Leitsatz (amtlich)
1. Die Tatbestandsmerkmale „überwiegende Beteiligung” und „ausschlaggebender Einfluss” in § 129 Abs. 3 SGB 7 stehen im Sinne echter Alternativität bezogen sowohl auf juristische Personen des öffentlichen als auch des Privatrechts nebeneinander.
2. Beide müssen unmittelbar gegeben sein.
3. Ein Unternehmen wird erwerbswirtschaftlich im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung betrieben, wenn es im Wettbewerb mit Privaten steht oder stehen kann und wesentlich der Gewinnerzielung dient, d.h. wenn die Gewinnerzielung mehr als ein bloß unbeabsichtigter Nebeneffekt bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben ist.
4. Das in § 129 Abs. 3 SGB 7 eröffnete Ermessen ist nicht frei, sondern im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzes auszuüben. Verflechtungen, die bereits auf der Tatbestandsseite vorausgesetzt werden, können im Rahmen der Ermessensabwägung nicht berücksichtigt werden.
5. Zwischen einem in selbstständiger Rechtsform betriebenen Unternehmen und dem tatsächlich von diesem bzw. für dieses Beiträge einziehenden Eigenunfallversicherungsträger der öffentlichen Hand besteht ein formelles Versicherungsverhältnis, so dass für die (erneute) Begründung der Zuständigkeit einer gewerblichen Berufsgenossenschaft eine Überweisung erforderlich ist.
6. Eine gegen den Übernahmebescheid eines Landes mit der Anfechtungsklage vorgehende gewerbliche Berufsgenossenschaft kann zulässigerweise auch eine Leistungsklage auf Überweisung gegen den notwendig beigeladenen Eigenunfallversicherungsträger der öffentlichen Hand erheben, die jedoch nur zu einer Verurteilung mit Wirkung vom 1. Januar des Jahres an führen kann, das auf den Tag der Rechtskraft des Urteils folgt.
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 26. November 1999 wird aufgehoben.
Der Beigeladene zu 2) wird verurteilt, die Beigeladene zu 1) mit Wirkung vom 1. Januar des Jahres, das auf den Tag der Rechtskraft dieses Urteils folgt, aus der Zuständigkeit des Beigeladenen zu 2) in die Zuständigkeit der Klägerin zu überweisen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Übernahme der Beigeladenen zu 1) in die Zuständigkeit des Beigeladenen zu 2).
Die Beigeladene zu 1) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die zum 1. April 1999 gegründet wurde. Laut § 2 des Gesellschaftsvertrages ist Gegenstand des Unternehmens die Organisation und Durchführung sowohl von Messen im Ausland als auch von Messebeteiligungen im Ausland sowie alle damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten oder Aktivitäten. Die Beigeladene zu 1) kann sich an gleichen und branchenähnlichen Unternehmungen beteiligen, sie gründen, erwerben oder pachten und sämtliche einschlägigen Geschäfte betreiben, die geeignet sind, die Unternehmungen der Gesellschaft zu fördern. Sie kann auch Zweigniederlassungen errichten. Das Stammkapital der Beigeladenen zu 1) in Höhe von 27.000,– EUR wird in voller Höhe von der M1 GmbH gehalten, deren Gesellschafter der Beklagte sowie die Stadt Nürnberg mit einem Stammkapitalanteil in Höhe von jeweils 49,94 % und die Industrie- und Handelskammer Nürnberg sowie die Handwerkskammer Nürnberg mit einem Anteil am
Stammkapital in Höhe von jeweils 0,06 % sind. Nach § 8 des Gesellschaftsvertrages der Beigeladenen zu 1) steht der Reingewinn den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Geschäftsanteile zu. Über die Ausschüttung des Reingewinns entscheidet die Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit.
Mit Schreiben vom 8. März 1999 beantragte die Beigeladene zu 1) bei dem Beklagten ihre Übernahme in die Zuständigkeit des Beigeladenen zu 2) mit der Begründung, dass „aufgrund der Gesellschafter eine erwerbswirtschaftliche Ausrichtung nicht vorliegt”.
Nach Anhörung der Klägerin und des Beigeladenen zu 2) bestimmte der Beklagte mit Bescheid vom 26. November 1999 an die Beigeladene zu 1), der auch dem Beigeladenen zu 2) und der Klägerin jeweils bekannt gegeben wurde, den Beigeladenen zu 2) als zuständigen Unfallversicherungsträger für die Beigeladene zu 1). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 129 Abs.3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) „für einen ausnahmsweisen Wechsel von der gesetzlich zuständigen Berufsgenossenschaft zum für Gemeinden und ihre Eigenbetriebe zuständigen Unfallversicherungsträger” vorliegen. Die alleinige Beteiligung der M1 GmbH reiche als mittelbare Beteiligung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in dessen Urteil vom 24. Februar 1988, Az.: 2 RU 24/87, aus, und darüber hinaus bestehe ein ausschlaggebender Einfluss auf die Organe der Beigeladenen zu 1). Die Beigeladene zu 1) werde nach Auffassung des Beigeladenen zu 2) nicht erwerbswirtschaftlich betrieben, sondern verfolge ausschließlich und unmittelbar öffentliche Zwecke. Ob Erwerbswirtschaftlichkeit vorliege, könne dahin gestellt bleiben, weil im Zweifel dem Ziel, den Versicherten einen bestmöglichen Schutz zu gewährleisten, Vorrang gegenüber dem Gesichtspunk...